Boy from heaven (Die Kairo-Verschwörung) von Tarik Saleh. Schweden/Frankreich/Finnland, 2022.Tawfeek Barhom, Fares Fares, Makram Khoury, Mehdi Dehbi, Moe Ayoub, Sherwan Haji, Mohammad Bakri
Die Ballade eines Fischersohns, der ein Stipendium für die berühmte Universität in der großen Stadt bekommt und voll der Hoffnung aufbricht in ein neues Leben. Nun trägt es sich aber zu, dass just zu dieser Zeit der Imam der al-Azhar verstirbt und ein Nachfolger gefunden werden muss, und da dieser Mann automatisch einer der einflussreichsten Männer der gesamten islamischen Welt sein wird, haben auch die weltlichen Machthaber ein großes Interesse daran, den richtigen Mann auf diesem Posten zu wissen. Unser Fischerjunge nun, ganz neu in der Stadt, ohne Familie dort und auch sonst recht unbedarft, entpuppt sich als er ideale Spitzel für die Staatssicherheit, und ehe er es sich versieht, steckt er knietief in einer undurchschaubaren Verschwörung, der er selbst am Ende nur mit knapper Not entkommen kann, nicht ohne zuvor seine Ideale und seine Selbstachtung verloren zu haben.
Wie heißt es noch so schön – andere Länder, andere Sitten? Von wegen. Mir mag die arabische Welt mitsamt ihren Gesetzen und Sitten weitgehend fremd sein (und daran wird auch dieser Film nichts ändern), eines jedoch wird mir nach diesen zwei düsteren Stunden sonnenklar. Wenn es um die Macht geht, geht es überall auf dieser Welt letztlich gleich zu, regieren Rücksichtslosigkeit, kaltblütige Gewalt und zynische Intrigen, ob im Abend- oder im Morgenland, ob unter dem islamischen Halbmond oder dem Kreuz des Christentums oder meinetwegen irgendeiner anderen Glaubensrichtung, egal wo, letztlich ist der Mensch immer gleich. Um den „richtigen“ Scheich auf den Chefposten zu hieven, ist der Staatssicherheit keine Wäsche zu schmutzig und kein Schachzug zu perfide, und wenn die jeweiligen Schachfiguren ihre Rolle zu Ende gespielt haben, werden sie möglichst rasch und lautlos entsorgt, falls sie nicht schon zuvor ihr Leben gelassen haben. Dieser Film hebt sich natürlich sehr deutlich von vielen anderen seiner Art ab, indem er uns Einblick in ein Milieu gewährt, das nicht allzu häufig für uns sichtbar wird, da wir uns in Europa auch kulturell ja (leider) allgemein für eine deutliche West-Orientierung entscheiden haben. Die riesige al-Azhar ist eines der geistigen Zentren des Islams, und selbst ich als völlig Unwissender und Uninformierter bekomme zumindest einen ersten Eindruck von ihrer Bedeutung und auch von der Vielzahl der verschiedenen Strömungen, die hier vertreten sind und letztlich auch um die Macht ringen. Die jahrhundertelange Konkurrenz von Kirche und Staat ist in Europa kein Thema mehr – hier aber schon, und sie wird von beiden Seiten mit letzter Entschlossenheit ausgetragen, auch wenn nach außen hin natürlich ein gewisser Schein gewahrt bleiben muss. Doch wenn es darum geht, einen unliebsamen Kandidaten in Misskredit zu bringen, ist auch der Blick ins Schlafgemach nicht zu schäbig, wird eine heimliche Ehe und eine heimliche Vaterschaft ausgegraben, während sich ein anderer Kandidat anschickt, den Mord an einem Spitzel auf sich zu nehmen, nur um die Gelegenheit zu bekommen öffentlich vor Gericht die Machenschaften der Staatssicherheit anzuprangern zu können. In diesem Sumpf aus Lüge und Infamie verliert unser Fischersohn verständlicherweise die Orientierung und seinen moralischen Kompass, kann den Drohungen und Forderungen des Stasi-Beamten nichts entgegensetzen, lässt sich von beiden Seiten benutzen, und der abschließenden Frage seines Geistlichen zuhause, was er denn in der großen weiten Welt gelernt habe, kann er nur mit einem hilflosen und leeren Blick begegnen.
Spannung entsteht hier nicht durch Action und Blutvergießen, sondern durch dichte Atmosphäre. Das Erzähltempo ist durchgehend ruhig, doch unter dieser ruhigen Oberfläche ist die Wahrnehmung nervös, angespannt, unsicher in Erwartung ständig neuer Wendungen und Ereignisse. Die Bedrohung ist in jeder Szene spürbar, in den Gesprächen, im gemeinsamen Gebet, in den verschiedenen Debattiergruppen, und zuletzt dann auch ganz offen, wenn unserem Fischerjunge Folter und Tod in Aussicht gestellt werden, wenn er sich nicht zum öffentlichen Sündenbock macht. Ein sehr stark und intensiv inszenierter Thriller, der sein Thema äußerst ernst nimmt und entsprechend sorgfältig zu Werke geht und der selbstbewusst genug ist, auf billige Effekte zu verzichten. Und seine große Stärke liegt, wie schon eingangs gesagt, darin, dass er es schafft, die weltweit gültigen Mechanismen der Macht klar und deutlich aufzuzeigen und sie gleichzeitig auf eine ganz spezifische, eigene Welt zu übertragen. Hat mir ein wenig die Augen geöffnet, ganz ehrlich, und ich habe sofort ein ganz neues Verständnis vom „Global Village“ bekommen… (11.4.)