Les magnétiques (Die Magnetischen) von Vincent Maël Cardona. Frankreich, 2021. Thimotée Robart, Marie Colomb, Joseph Olivenne, Philippe Frécon, Brian Powell
Die Geschichte von Philippe und Jérôme, zweier Brüder, eng verbunden und doch sehr verscheiden, die in den frühen 80ern aufwachsen müssen. Sie machen das Beste draus und bauen mit ein paar Kumpels ein Studio zusammen, in dem sie eine eigene Radiosendung produzieren und in den Äther stellen, denn seit neuestem ist das in Frankreich auch erlaubt. Wir schreiben das Jahr 1981, Mitterand ist just zum neuen französischen Staatspräsidenten gewählt worden, dem ersten sozialistischen, womit er mächtige Hoffnungen lostritt. Aber bald darauf stirbt Bob Marley, und das wird als böses Omen gewertet. Philippe, der jüngere, ist der Nerd, der am liebsten mit der Technik frickelt und im Hintergrund bleibt, Jérôme ist extrovertiert, provokativ und durchgeknallt und der Mann fürs Mikro. Er ist mit Marianne zusammen, in die sich auch der jüngere Bruder alsbald verliebt. Dann greift plötzlich die Wehrpflicht nach Philippe, und während sich die Kumpels in den vergangenen Jahren locker drücken konnten, fällt die Musterungsbehörde diesmal nicht mehr auf die Tricks rein, Philippe wird gezogen und in den französischen Sektor in Berlin gesteckt. Während der für ein Jahr dort ist, knüpft er einerseits Kontakte zur dortigen Musikszene, und weil er verdammt gute Sounds erzeugen kann, kriegt er ein Angebot, später in Paris professioneller tätig sein zu können. Daheim spielt sich derweil ein Drama ab, Jérôme knallt langsam aber sicher durch, wird drogenabhängig und fährt sich schließlich vor einen Baum. Philippe kommt nach Hause, kann sich nicht dazu entscheiden, mit Marianne zu leben, obwohl die offenbar auf ihn wartet, bevor sie dann mit ihrer kleinen Tochter fortzieht. Philippe braucht noch ein Weilchen, dann begreift er auch, dass seine Zukunft nicht auf dem lande liegt und er setzt sich in einen Zug.
Eine gefühlvolle Hommage an eine (gottlob) längst vergangene Zeit, an die Liebe zur Musik und an Jungs und ihre ganz besonderen Schwierigkeiten mit Selbstfindung und dergleichen. Das ist durchgehend sehr unterhaltsam und pointiert erzählt, ausgezeichnet gespielt und vom Zeitkolorit auch sehr gelungen umgesetzt. Die elenden frühen 80er werden in Farben und Klängen wieder lebendig, und in einigen amüsanten und auch eindrucksvollen Sequenzen erleben wir Philippe, wie er mit voller Inbrunst und Begeisterung und herrlich analogem Handwerkszeug irre Toncollagen und -effekte kreiert, den Mann vom BFBS in Berlin stark beeindruckt somit fast schon eine Karriere vor Augen hat, wenn da nicht die Familie und seine Verwurzelung in der Provinz wären – und natürlich die Liebe zu Marianne, die er aber irgendwie nicht gebacken kriegt. Die Dynamik der Geschichte ändert sich stark, als Philippe nach Berlin eingezogen wird und wir Jérôme für längere Zeit aus den Augen verlieren. Die besondere Chemie zwischen den Brüdern geht verloren, und zwar unwiederbringlich, denn als wir den Älteren das nächste Mal sehen, ist er bereits ein Wrack, ohne dass so richtig erklärlich ist, wieso eigentlich. In diesem Bereich hat der Film deutliche Schwächen, er ist einfach insgesamt etwas zu flüchtig und handelt interessante und wichtige Episoden allzu rasch ab, wodurch am Ende der Eindruck einer gewissen Oberflächlichkeit entsteht. Das ist ein bisschen schade, denn es gibt einige sehr schöne Momente, und allgemein finde ich solche coming-of-age-Geschichten immer anziehend, aber hier wurde vielfach die Möglichkeit verpasst, dieser Geschichte noch ein wenig mehr Tiefe mitzugeben. Es bleibt am Schluss aber auf jedenfalls die melancholische Rückschau auf eine Zeit des vermeintlichen Aufbruchs nach jahrzehntelanger konservativer Paralyse in dem Wissen, dass dieser Präsident dann auch nicht der erwartete Heilsbringer sein konnte, genauso wenig wie sein Kollege Obama ein paar Jahre später drüben in den Staaten. So gesehen hatte Jérôme mit seiner düsteren Prophezeiung nach Marleys Tod durchaus recht… » (26.6.)