Kuolleet lehdet (Fallende Blätter) von Aki Kaurismäki. Finnland, 2023. Alma Pöysti, Jussi Vatanen, Janne Hyytiäinen, Nuppu Koivu
Mein ewiger Mitstreiter und ich waren uns einig: Wenn uns nicht die Radiomeldungen vom russischen Überfall auf die Ukraine mit schöner Regelmäßigkeit in das Hier und Jetzt befördert hätten, wäre dies ein Film, der in jeder Hinsicht und vollkommen aus der Zeit gefallen ist. Aber es ist ja trotz allem doch einer geworden, weil der Kaurismäki immer schon solche Filme gemacht hat und es zu meinem größten Glück auch nach beinahe vierzig Jahren immer noch tut. Einst wären die Stars Kati Outinen und Matti Pellonpää in Schwarzweiß gewesen, heute sind es andere in Farbe, alles andere aber, das Einzigartige, Unverwechselbare, das jeden Kaurismäki-Film sofort identifizierbar macht, ist geblieben. Selten nur tut nach allgemeiner Ansicht diese Art von Kontinuität einem Künstler gut, er gerät früher oder später unweigerlich in den Verdacht, seine Kreativität sei auf der Strecke geblieben, doch in diesem Fall bestätigt die Ausnahme die Regel, denn „Fallende Blätter“ ist einfach wunderbar.
Zwei einsame Seelen treffen in Helsinki aufeinander, sie schlägt sich von einem tristen Job zum nächsten durch, er verliert einen Job nach dem anderen, weil er ständig zuviel trinkt. Sie lernen sich kennen, sie lässt sich auf ein Date ein, macht ihm dann aber unmissverständlich klar, dass sie einen Trinker niemals tolerieren würde, denn sie hat bereits ihren Vater und ihren Bruder an den Suff verloren. Er wiederum erklärt, er lasse sich nicht bevormunden, nimmt seine (geliehene) Jacke und zieht Leine, und das war‘s dann offensichtlich mit den beiden. Irgendwie aber sind beide noch nicht fertig miteinander, er schüttet den Fusel schließlich in den Ausguss, nachdem er endgültig Arbeit und Unterkunft verloren hat und erklärt, er sei nun trocken und vielleicht könnten sie es ja nochmal versuchen. Auf dem Weg zu ihr schlägt jedoch das Schicksal zu, er wird angefahren und fällt ins Koma. Sie sitzt Tag für Tag an seinem Bett, er erwacht schließlich, und die beiden gehen gemeinsam in einen schönen finnischen Herbstnachmittag.
Dieses Happy End, das dank des Krieges in der Ukraine stets und ständig relativiert und geerdet wird, war heute genau das Richtige für mein müdes Herz und hat einfach nur gut getan. Sowas darf man sich auch mal gönnen, denke ich. Kaurismäki hat ja von jeher seine ganz eigene Art von Romantik – spärliche Dialoge, minimalistische Mimik, karge Dekors und in achtzig Minuten auch dramaturgisch eine Reduktion auf das eben Nötigste. Dazu die gewohnt herb melancholischen finnischen Schlager und auch mal ein schöner Tschaikowski. Die Zeiten sind nicht besser geworden seit den Achtzigern, Außenseiter haben es nach wie vor schwer, windige Arbeitgeber beherrschen noch immer das Geschäft, und in Kneipen und Straßenbahnen sitzen die Menschen so wie einst, jeder für sich und starren mit leerer Miene wortlos vor sich hin. Dann gibt’s aber doch mal den einen oder anderen trockenen, witzigen Einzeiler, eine schöne Hommage an den Kollegen Jarmusch, und ganz ganz selten erhellt sich das Gesicht der Frau mal um eine Nuance, und das ist dann schon ein Unterschied ums Ganze. Am Ende lächelt sie sogar richtig – das ist dann das große Glück. So einfach, und es gibt niemanden, der dem Herrn Kaurismäki auf diesem Gebiet das Wasser reichen kann. (26.9.)