Holy Spider von Ali Abbasi. Dänemark/BRD/Schweden/Frankreich, 2022. Sahra Amir Ebrahimi, Mehdi Bajestani, Arash Ashtiani, Forouzan Jamshidnejad, Mesbah Taleb, Sina Parvaneh

   Eine wahre Geschichte. Zwischen 2000 und 2001 ermordet der unscheinbare Familienvater Saeed in der iranischen Stadt Maschhad insgesamt sechszehn Prostituierte in der Überzeugung, seinem Gott und seinem Land einen Dienst zu erwiesen, indem er den Unrat beseitigt. Er liest sie auf der Straße auf, bringt sie zu sich nach Hause, erwürgt sie dort und entsorgt die Leiche an einem mehr oder weniger öffentlichen Ort. Dann ruft er einen lokalen Journalisten an und brüstet sich mit seiner Tat. Arezu, eine Journalistin aus Teheran, kommt nach Maschhad, stellt bald fest, dass die Behörden offenbar nicht allzu intensiv nach dem Frauenmörder fahnden und beschließt schließlich, sich als Köder zur Verfügung zu stellen, was beinahe schiefgeht, dann aber doch zu Saeeds Verhaftung führt. Es kommt zu reichlich öffentlichen Sympathiebekundungen für den Massenmörder, der selbst vor Gericht als aufrechter Verteidiger von Reinheit und Moral auftritt, und dem es auch gelingt, seine eigene Familie auf seine Seite zu ziehen. Einflussreiche Freunde versprechen ihm, dass das verhängte Todesurteil nicht vollstreckt werden wird, doch am Tag der Hinrichtung verhilft ihm niemand zur Flucht und er wird erhängt.

   Eine düstere, grimmige Polemik gegen die iranische Gesellschaft, gegen Hass, Gewalt und jene angeblich religiös fundierte Misogynie, die hier die Triebfeder für Saeeds Gräueltaten sein soll. Die Morde sind brutal, hässlich, grausam in die Länge gezogen, genau wie die finale Exekution. Ich sehe darin aber keinerlei Sensationslust oder Spekulation, sondern die konsequente Umsetzung einer hässlichen Geschichte in hässliche Bilder. Die Stadt ist eine staubige Betonwüste, öde und heruntergekommen, so kalt und unwirtlich wie das Verhältnis der meisten Menschen zueinander. Arezu provoziert die Machos, vor allem den Polizeibeamten, an den sie sich anfangs wendet, durch ihre Selbstsicherheit, die jedoch schnell dahin ist, als er sie bedrängt und bedroht, und genau so wird er ihr später mit Saeed ergehen, dem sie nur mit knapper Not entkommen kann. Wieso Saeed trotz seiner Popularität dann doch hingerichtet wird, bleibt offen – vielleicht wollte der Staat kein Risiko eingehen und den spektakulären Moralkrieger lieber beseitigen. Am großen Ganzen wird die Vollstreckung des Urteils allerdings nichts ändern, daran besteht gar kein Zweifel, und sogar sein halbwüchsiger Sohn erklärt abschließend vor laufender Kamera, er überlege ernsthaft, in die Fußstapfen seines Vaters treten zu wollen, wenn er erstmal erwachsen ist. Dieser wahrhaft erschütternde Ausklang nimmt uns endgültig jegliche Illusion, dass sich die Dinge dort jemals zum Besseren verändern könnten, so wie auch Arezu jegliches Vertrauen in die Behörden verliert, als ihr klar wird, dass drogensüchtige Prostituierte auch dort nicht wirklich als Opfer respektiert, sondern genau wie überall sonst mehr oder weniger als Abfall betrachtet werden.

 

   Solch ein Film kann natürlich nicht im Iran selbst entstehen, aber das nimmt ihm gar nichts von seiner Relevanz oder Aussagekraft. Ali Abbasi formuliert eine vehemente Anklage in krassen Bildern und mit einigen sehr starken Darstellern, und wenn dem Film von einigen Seiten ein Mangel an Zwischentönen vorgeworfen wird, so finde ich dies in diesem Kontext ziemlich irrelevant. Dieser Film will keine differenzierte Psychostudie sein, wieso also solle man ihn an solchen Kriterien messen… ˜˜˜˜ (24.01.)