Une belle course (Im Taxi mit Madeleine) von Christian Carion. Frankreich/Belgien, 2022. Line Renaud, Dany Boon, Alice Isaaz, Jérémy Laheurte, Julie Delarme

   Die Idee ist ebenso einfach wie bestechend: Eine hochbetagte Dame lässt sich im Taxi aus ihrer Wohnung in ein Seniorenheim kutschieren, wo sie den kurzen Rest ihrer Tage verbringen wird. Sie überredet den anfangs sehr wortkargen, weil in Geldsorgen erstickenden Fahrer dazu, einige Umwege zu machen und bedeutsame Orte ihres Lebens anzusteuern. Unterwegs kommen die Erinnerungen, und sie erzählt von ihrer ersten Liebe, von einer toxischen zweiten Liebe und ihrem fatalen Ausgang, vom Verlust ihres geliebten Sohnes, den sie kaum kennenlernen konnte. Und sie bringt den mürrischen Fahrer dazu, aufzutauen, sich auch ein wenig zu öffnen, und als er sie dann endlich spät nachts am Zielort abliefert, ist eine Freundschaft entstanden.

   Der Schluss säuft dann leider doch in Sentimentalität ab, und das ist so schade, denn diese schöne Geschichte hätte mehr verdient gehabt als ein vollkommen vorhersehbares und rührseliges Finale – sogar der Kerl neben mir hat geschnieft, verdammich. Man weiß natürlich gleich, was passiert: Natürlich ist die alte Dame verstorben, als sie zusammen mit seiner Ehefrau besuchen möchte, und natürlich hinterlässt sie ihm einen Batzen Geld, der die kleine Familie hopplahopp von allen Geldsorgen befreit. Diese total aufgesetzte märchenhafte Wendung erzeugt bei mir nur einen schalen Nachgeschmack, und obwohl der Film sein Potential längst nicht ausschöpft, hatte er mir bis zehn Minuten vor Schluss eigentlich ganz gut gefallen, und wenn er in dem Moment aufgehört hätte, da der Fahrer sie im Heim abliefert und dann davonfährt, wäre ich ganz zufrieden gewesen. Zumindest habe ich bis dahin keinen allzu gefälligen Wohlfühlfilm gesehen, sondern eine Geschichte mit ernsten Zwischentönen, die mich trotz einiger Klischees durchaus berührt hat. Das Drehbuch hätte ohne Frage noch sehr viel mehr in die Tiefe gehen und das Leben der Madeleine Keller in seinen vielen Facetten besser ausleuchten können, aber viele gute Ansätze sind da – die Nachkriegszeit, die besondere „Moral“ der 50er Jahre im Zeichen einer nach wie vor von Männern gemachten Justiz und Ethik. Und frau bekommt eine durchaus nachahmenswerte Anregung, wie mit männlicher Gewalt umzugehen ist. Gegen Madeleines schillernde Biographie fallen Charles‘ Problemchen eher banal aus, und daher hat die fabelhafte Line Renaud die weitaus spannendere Rolle, während Dany Boon eigentlich nur anfänglich mürrisch und später dann zunehmend nett sein muss. Aber ihre Chemie stimmt, und es macht Spaß, ihnen zuzusehen, wie sie einige heikle oder auch komische Momente gemeinsam überstehen und sich peu à peu näherkommen. Genauso viel Genuss haben mir die vielen tollen Bilder aus Paris bereitet – es ist wirklich lange her, dass der Hauptstadt des Kinos so liebevoll gehuldigt wurde, und es ist schön, dass es sowas immer noch gibt.

 

  Alles in allem ein gemischter Eindruck, insgesamt leider nicht so gelungen, wie es möglich gewesen wäre, immerhin mit achtzig schönen und dann noch zehn nicht so schönen Minuten. Mein generelles Misstrauen gegen den französischen Wohlfühlfilm wird durch sowas jedenfalls nicht beigelegt… ˜˜˜ (13.4.)