Oppenheimer von Christopher Nolan. USA/England, 2023. Cillian Murphy, Emily Blunt, Matt Damon, Robert Downey jr., Florence Pugh, Josh Hartnett, Benny Safdie, Jason Clarke, Dane DeHaan, Casey Affleck, Kenneth Branagh, Tom Conti, Matthew Modine, Rami Malek
Ein bisschen Vorwissen tät schon helfen – ich jedenfalls war ganz froh, mich vorher kurz zum Thema Oppenheimer und Manhattan-Projekt und so weiter belesen zu haben, denn so fand ich mich ganz gut zurecht in den ausufernden drei Kinostunden, zumal Mister Nolan wie gewohnt keinerlei Anstrengungen unternimmt, um uns die komplexe Materie mundgerecht zu portionieren. Im Gegenteil, er hüpft einmal mehr munter zwischen den Zeit- und Wahrnehmungsebenen hin und her, und der allgemeinen Unruhe im Kinosaal konnte ich entnehmen, dass längst nicht alle Besucher imstande oder gewillt waren, dem Geschehen über die ganze lange Strecke zu folgen. Zum einen die unvermeidlichen Frascatis mit der kleinen Blase, zum anderen überforderte Minderjährige, die von ihren Idioteneltern aus völlig unerfindlichen Gründen mitgeschleppt wurden und mit dem Geschehen auf der Leinwand logischerweise überhaupt nichts anfangen können.
Nolan konzentriert sich im Wesentlichen auf zwei Themenkomplexe: Der geniale Wissenschaftler, der die Geister, die er rief, nicht mehr loswird und den die Bilder von den Verheerungen, die seine Bombe in Hiroshima und Nagasaki anrichteten nicht mehr loslassen. Und der geniale Wissenschaftler, der plötzlich unbequem wird und in den Malstrom der amerikanischen Kommunistenhysterie gerät. Er wird vor einen „Ausschuss“ gezerrt, verliert seine Sicherheitsfreigabe und muss sich obendrein einer entwürdigenden Befragung ausliefern, die ihn natürlich noch immer als Sympathisanten darstellt, was im Amerika der späten 40er und frühen 50er der ultimative Affront gegen die sogenannte nationale Sicherheit ist. Es wird auch ganz direkt gesagt: In den USA war der Kommunismus stets der schlimmere Gegner als der Faschismus. Der Weg des aufstrebenden Physikers Oppenheimer, der nach Europa geht, Leute wie Niels Bohr erlebt, Einstein nahesteht und sich mit seiner Wissenschaft in ein ganz neues Zeitalter aufmacht. Ein Physiker, der zwar ein gewisses Unbehagen bei dem Gedanken empfindet, welche Folgen seine bahnbrechende Erfindung haben könnte, wenn sie als Kriegswaffe eingesetzt werden, der seine Arbeit dennoch entschlossen und unbeirrt vorantreibt, vermutlich aus Eitelkeit, der Begeisterung über die ihm zur Verfügung gestellten Möglichkeiten und dem Forschungsdrang des Wissenschaftlers, der alle Folgen seines Tuns konsequent ausblendet, weil er sonst kein Wissenschaftler sein könnte. Und so lässt er sich seine kleine Stadt in Los Alamos bauen, versammelt ein Team von hochkompetenten Leuten um sich und macht sich daran, den Wettlauf mit den Naziwissenschaftlern zu gewinnen mit dem festen Ziel, die Bombe gegen die Deutschen einzusetzen. Als ihm dann klar wird, dass seine Bombe gegen Japan eingesetzt werden wird, erhebt er Einspruch, doch es ist zu spät, und just jener Einspruch führt zu dem, was danach auf ihn zukommt. Derselbe Wissenschaftler nämlich, der einst während der Kriegsjahre gefeiert, hofiert, gerühmt wurde, findet sich nach dem Krieg im Fokus der paranoiden Ermittler es Kalten Krieges, die hinter jeder Tür einen bösen Kommunisten vermuten, und dessen Verdienste ums Vaterland plötzlich vergessen sind, weil er bis in die 40er Geld spendete für die spanische Republik und er Kontakt zu ehemaligen Kommunisten hielt und seine Kitty ebenfalls eine Zeitlang Parteimitglied war. Zum Leidwesen seiner Frau kämpft er aber nicht, sondern lässt die absurden und vollkommen aus der Luft gegriffenen Anschuldigungen über sich ergehen, weil ihn einfach das Gewissen längst schon in die Knie gezwungen hat, während sie zu seiner Verteidigung einen famos couragierten Auftritt vor dem „Ausschuss“ hinlegt und die Infamie und Einfältigkeit der Inquisitoren bloßlegt. Immerhin sehen wir auch, dass sein ärgster Widersacher, der eine perfide Intrige gegen ihn eingefädelt hat, an selbiger scheitert und Ansehen sowie Posten einbüßt.
Wie gesagt, es macht Sinn, sich im Vorfeld grob zu informieren über die Hintergründe und Zusammenhänge der Geschichte Oppenheimers. Nolan gestaltet die vielschichtige Story als virtuos arrangierte Collage, fast ununterbrochen untermalt von einem ebenso furiosen Soundtrack und vorgetragen von großartigen Darstellern, aus denen Cillian Murphy als Oppenheimer natürlich herausragt, während die von mir so sehr geschätzte Emily Blunt als seine Gattin leider nicht genug zu tun bekommt, und dabei hat sie eigentlich eine ziemlich schillernde und faszinierende Rolle. Nolan kreiert einen beeindruckenden, mitreißenden Erzählstrom, dem es tatsächlich gelingt, Spannung und Intensität über die gesamte Spielzeit hindurch gleichbleibend hochzuhalten und der die Komplexität der Geschichte jederzeit souverän und adäquat trägt. Selten ist es einem Spielfilm so gut gelungen, die besondere und heute leider immer noch anzutreffende Mentalität der USA, jene Mischung aus Bigotterie, Verlogenheit, Fanatismus und Patriotismus in Szene zu setzen, wobei mir diesmal besonders die Dialoge gefallen haben, denn die sind wirklich brillant, was mir in den früheren Nolan-Filmen nie so aufgefallen ist. Dass die Optik überwältigend sein würde, war eigentlich klar, dass es auch die übliche Nolansche Kraftmeierei und Effekthascherei geben würde, war auch klar, aber die gehört bei ihm dazu und die hat mich diesmal nur gelegentlich gestört, wenn es gar zu laut und dröhnend zuging.
Alles in allem ein sehr starker, außergewöhnlicher Film, der nachklingt und bewegt, der trotz seiner erwähnten kleinen Untiefen für mich auf jeden Fall Nolans bester bislang ist und der demonstriert, dass man Politik und Geschichte in eine aufregende Form bringen kann, ohne dabei an Aussagekraft zu verlieren. Nolan wäre übrigens auch der geeignete Regisseur für einen Film über Julius und Ethel Rosenberg, gerne auch nach dem Roman von Robert Coover. Ich kann mir gut vorstellen, dass er diese unwiderstehlich amerikanische Kombi aus Antibolschewismus und Antisemitismus genüsslich auf die Leinwand bringen könnte…» (12.8.)