Perfect Days von Wim Wenders. Japan/BRD, 2023. Kōji Yakusho, Arisa Nakano, Tokio Emoto, Yumi Aso, Sayuri Ishikawa, Aoi Yamada
Herr Hirayama lebt in Tokio in einem einfachen kleinen Haus. Wir sehen ihn wieder und wieder beim gleichen morgendlichen Ritual. Futon falten, Zähne putzen, die Arbeitsutensilien zusammenraffen, vor die Tür treten, in den Himmel schauen, eine Dose Kaffee aus dem Automaten ziehen, ins Auto steigen, eine Musikkassette auswählen und losfahren. Dann macht er sich an seine Arbeit. Er reinigt öffentliche WCs in den Grünanlagen Tokios. Und er tut dies mit soviel Hingabe und Gründlichkeit, dass es jedem deutschen Hygienebeauftragten die Tränen des Glücks ins Gesicht treiben könnte. Er scheint mit sich und seiner kleinen Welt zwischen Baumschößlingen, Büchern, Musik der 60er und 70er Jahre, der öffentlichen Badeanstalt, dem Waschsalon, der Imbissbude und einem abschließenden Feierabendbier in der Kneipe nebenan vollkommen im Reinen zu sein – und doch kommt es in den zwei Stunden zu einigen Begegnungen (zum Beispiel mit seiner forschen Nichte, die vorübergehend ihrer Mutter entlaufen ist), die etwas tiefer loten und andeuten, dass es in der Vergangenheit des Herrn Hirayama mehr gibt als nur innere Harmonie und Eintracht, dass es vielmehr auch in der Familie zu ernsten Zerwürfnissen gekommen sein muss (eine ganz kurze Begegnung mit seiner seit Jahren entfremdeten Schwester spricht buchstäblich Bände…), und dass Herr Hirayama sich vielleicht doch nicht ganz aus freien Stücken für dieses Leben entschieden hat.
Ich glaube, der letzte Wim-Wenders-Film, der mich so richtig froh gemacht hat, ist gut fünfunddreißig Jahre alt und hieß „Der Himmel über Berlin“ – obwohl ich nicht mal sicher bin, dass ich ihn heute noch immer so positiv beurteilen würde. Danach kam nur noch lauwarmes, total verschwurbeltes oder bestenfalls halb gelungenes Zeug, mit Ausnahme natürlich seiner Dokumentarfilme, die seit vielen Jahren deutlich besser sind als seine Spielfilme. „Perfect Days“ ist mithin sein erster wirklich guter Spielfilm seit Ewigkeiten. Das weist erstens auf eine traurige Form der Zeitverschwendung hin, ist aber zweitens dennoch ziemlich erfreulich, denn hier hat er mir mal wieder zwei besinnliche und poetische Kinostunden beschert, zum einen ganz im Hier und Jetzt verortet, zum anderen aber auch auf eine schöne Weise zeitlos.
Vom Glück der einfachen Dinge predigen zumeist nur die, dies es sich erlauben können, und so naiv finde ich den Film nun auch nicht. Er zeigt zwar einen Mann, der sein Glück in einem völlig anspruchslosen, ganz und gar nicht von Materialismus und dem Streben nach Erfolg geprägtem Leben gefunden zu haben scheint, dennoch ist Herr Hirayama keineswegs unanfechtbar gegen Schmerz und Zweifel. Wir sehen immer wieder rätselhafte und bis zuletzt unaufgeklärte Traumbilder in Schwarzweiß und sehen Herrn Hirayama am Ende weinend durch die große Stadt Tokio fahren, und all dies weist darauf hin, dass irgendetwas passiert sein muss, und genau das macht aus Herrn Hirayama keinen modernen Märtyrer oder heldenhaften Eremiten, sondern nur einen Mann, der die für ihn einzig richtige Konsequenz gezogen und sich möglichst weit von seinem einstigen Leben distanziert hat. Die schick gewandte Schwester mit dem Nobelschlitten bestätigt dies ebenso wie ein Ausspruch, den Hirayamas Nichte (also ihre Tochter) zitiert und der besagt, dass die beiden, Bruder und Schwester, in zwei völlig verschiedenen Welten leben. Hirayamas Glück ist also zu keiner Zeit vollkommen, und doch kriegt er es fast immer fertig, zufrieden im Alltag zu stehen, sofern nur keine ungebetenen Geister aus der Vergangenheit aufkreuzen. Er ist von seinem Weg überzeugt. Die Ernsthaftigkeit und Gewissenhaftigkeit, mit der er seinen wenig glamourösen und prestigeträchtigen Job versieht, zeigt einen Mann, der erkannt hat, dass jede Arbeit wertvoll ist, wenn man sie nur mit ganzem Herzen erledigt. Und hinter seiner wortkargen, etwas unbeholfenen Art steckt bei alledem ein sehr feinfühliger und gutmütiger Zeitgenosse, der sich durchaus nicht völlig von der Gesellschaft verabschiedet hat.
Kōji Yakusho ist hinreißend in der Hauptrolle und trägt den Film mit genau jener Gelassenheit und Würde, die es dafür braucht. Wenders steuert dazu seinen noch immer bemerkenswerten Sinn für Bilder und seinen noch immer bemerkenswerten Musikgeschmack bei, und so ist auch noch ein Porträt der großen Stadt, ihrer Straßen, Plätze, Parks und Menschen entstanden, und dann ertönen dazu Lou Reed, Eric Burdon, Patti Smith und Van Morrison, um nur einige zu nennen. Das ist einfach cool und das nehme ich als einen wirklich schönen (und zwar im positiven und nicht im seichten Sinne schönen) Jahresausklang, der mich bestens gestimmt vom Filmjahr 2023 Abschied nehmen lässt. (27.12.)