An Cailín Ciúin (The quiet girl) von Colm Bairéad. Irland, 2022. Catherine Clinch, Carrie Crowley, Andrew Bennett, Michael Patric, Kate Nic Chonaonaigh 

   Weil die Mutter schon wieder schwanger und sowieso schon erschöpft und überfordert ist, und es dem Vater sowieso total egal ist, und sie selbst ein stilles, unzugängliches und nicht besonders „nützliches“ kleines Mädchen ist, wird Cáit kurzerhand für eine unbestimmte Zeit weggeschickt zu einer Kusine mütterlicherseits, die zusammen mit ihrem Mann eine Farm im entfernten Waterford bewohnt. Während Séan anfangs eher abweisend und wenig gastfreundlich reagiert, nimmt Eibhlín die Kleine sofort sehr fürsorglich und aufmerksam auf, und nach einiger Zeit ändert sich auch das Verhalten von Séan merklich. Cáit erfährt plötzlich eine Art von Zuneigung, die sie nicht kannte, und ganz langsam wagt sie sich auch aus ihrem schützenden Schneckenhaus heraus. Doch dann erreicht sie die Nachricht, dass ihr neues Geschwisterkind zur Welt gekommen ist und sie wieder zurück nach Hause kommen soll.

   Kleiner Film, große Wirkung, so schlicht könnte man diese gut neunzig Minuten beschreiben. Und viel mehr ist dem eigentlich auch nicht hinzuzufügen – eine einfache, fast schon reduzierte Geschichte, eine ruhig und sensibel beobachtende Regie, die sich nicht für Dramaeffekte interessiert, sondern für die Räume dazwischen und vor allem für die Menschen, ein paar ganz wunderbare Darsteller und dazu Bilder aus einem ländlich-ärmlich-einfachen Irland (den Autos und Klamotten nach zu urteilen irgendwann in den frühen 80ern, aber das spielt in diesem Land fast keine Rolle, es könnten ebenso gut schon die 2000er sein). Ein Muster an Ökonomie, aber auch an Poesie, Empathie und Atmosphäre, eine Geschichte, die sich lange Zeit so wie ihre Hauptpersonen verkriecht, um dann ganz langsam ein wenig voranzukommen und in die Tiefe zu gehen, bis hin zu jenen herzzerreißenden letzten zwei Minuten, die fast schon wieder ein eigener Film für sich sein könnten und in denen vieles von dem herausbricht, was zuvor noch nicht gesagt oder ausgedrückt werden konnte. Im Zentrum steht natürlich das stille Mädchen, die in Körperhaltung und (fehlender) Mimik viel darüber zum Ausdruck bringt, was sie bislang erlebt hat, und die auch in dem fremden Haus einige Zeit braucht, um Vertrauern zu fassen, die höchstens mal eine Reaktion der Lebensfreude zeigt, wenn Séan sie zum Briefkasten an der Straße rennen lässt und dabei die Zeit stoppt. Zusammen mit ihr ertasten wir die Welt von Eibhlín und Séan, über deren schlimmes Geheimnis wir auf maximal rüde Art und Weise aufgeklärt werden, in der einzigen „Gesellschaftsszene“, die in ungefähr fünf Minuten so ziemlich alles sagt, was es über Irland zu sagen gibt und die auch heute noch nachfühlbar werden lässt, weshalb dieses Land so viele seiner großen Geister in die Flucht trieb. Deutlich vorherrschend aber: Stille, Blicke, Gesten, wenige Worte, dennoch Momente, in denen sich wunderbar viel mitteilt.

 

   Ein ganz großartiger Film aus einem Land, das für Jahrzehnte beinahe verschwunden schien von den hiesigen Kinoleinwänden und das mir langsam aber sicher und zu meinem allergrößten Bedauern ein wenig fremd und fern geworden ist. Ich mache mir keinerlei Illusion die Zukunft betreffend, genieße dafür umso mehr den Moment und das Wiedersehen und freue mich auf das nächste irgendwann nach meiner Pensionierung. ˜˜˜˜˜ (29.11.)