The Son von Florian Zeller. England/Frankreich, 2022. Zen McGrath, Hugh Jackman, Laura Dern, Vanessa Kirby, Anthony Hopkins
Peter hat Frau und Sohn verlassen, um mit der jüngeren Beth eine neue Familie zu gründen. Er ist beruflich sehr erfolgreich und stellt nach wie vor die Karriere vor die Familie. Eines Tages steht seine Ex-Frau Kate vor der Tür und berichtet, dass ihr gemeinsamer Sohn Nicholas offensichtlich Probleme hat und schon länger nicht mehr in der Schule war. Nick zieht erstmal zu seinem Vater, doch dort wiederholt sich das gleiche Schema nach kurzer Zeit. Nick macht einen Selbstmordversuch, landet in einer Klinik, wo eine starke Depression diagnostiziert wird. Auf sein eindringliches Bitten und gegen den ausdrücklichen Rat des Arztes holen Peter und Kate ihn nach Hause, wo er sich mit einem alten Jagdgewehr erschießt, das sein Dad einst von dessen Vater geschenkt bekommen hat. Auch Jahre später hat Peter seinen Tod noch nicht überwunden, und wir erleben eine bedrückend realistische Vision, in der Peter sich eine glückliche Zukunft für seinen Sohn herbeiträumt.
Starkes Schauspielerkino, in dem sich die allermeisten Eltern, so denke ich jedenfalls, an der einen oder anderen Stelle wiederfinden werden: Was haben wir falsch gemacht? Warum haben wir es nicht gesehen? Sind wir schuld? Sorge, Hilflosigkeit, Schuldgefühle, Ohnmacht, und so weiter. Aber auch: Das ist mein Leben. So jedenfalls verteidigt Peter sich gegen Nicks Vorwürfe, er habe sich wie ein Arschloch verhalten und ihn und seine Ma einfach verlassen. Haben Eltern also noch das Recht auf ein eigenes Leben, auf ein eigenes Streben nach Glück, in dem die Kinder nicht an erster Stelle stehen? Frage wie diese tauchen in Geschichten wie dieser zwangsläufig immer wieder auf, und das ist hier nicht wirklich neu, wird aber mit viel Gefühl und auch dem Mut zu unbequemen Situationen und Antworten behandelt. Die schwierige Kunst in solchen Konstellationen besteht darin, alle Seiten zur Geltung kommen zu lassen, anzuhören, ohne die eine oder andere einseitig zu verurteilen, denn in vielen Fällen greift keine klare Schuldzuweisung. So auch hier: Alle handeln nach bestem Wissen („Wir wollen wirklich nur das Beste für dich“…), aber dennoch auch mit einer größeren und kleineren Portion Egoismus. Nick möchte am liebsten seine Eltern wieder zusammenbringen. Kate scheint auch etwas in dieser Richtung vorzuhaben. Peter hat zunächst vor allem sein berufliches Weiterkommen im Sinn, und Beth ist in erster Linie darauf aus, dass Peter sich um sie und ihren gemeinsamen kleinen Sohn kümmert. Das ist vollkommen normal und in keiner Weise verwerflich, und so hat auch hier niemand wirklich Recht oder Unrecht. Das Problem ist hier, wie so oft auch im wahren Leben, dass diese einzelnen Wünsche und Ziele nicht gut zusammenpassen, und dass irgendjemand Kompromisse machen müsste, oder am besten alle. Peter ist schließlich bereit, auf den großen Karrieresprung zugunsten der Familie zu verzichten, doch Nicks jäher Tod macht auch dieses Opfer wertlos. Zuvor erleben wir, wie er sich daran abarbeitet, sich seinem Sohn zu nähern, Kontakt zu ihm zu bekommen, wie er aber unfreiwillig immer wieder in Muster verfällt, unter denen er selbst als Jugendlicher gelitten hat. Genau jene Sprüche, die er selbst einst hasste, kommen ihm nun selbst als Vater über die Lippen – ebenfalls eine Erfahrung, die wohl fast alle Eltern auch gemacht haben. Wir erleben auch, dass Peter nicht imstande ist, Nick und seine Welt wirklich zu verstehen, denn in dieser Welt gelten Werte wie Disziplin, Zielstrebigkeit, Pflichtbewusstsein wenig, womit dann ein typischer Generationenkonflikt umrissen wäre, an dem auch diese beiden letztlich scheitern, wie so viele vor und nach ihnen.
Im Vergleich zu dem für meinen Geschmack etwas stärkeren „Der Vater“ sind im Drehbuch diesmal immer mal wieder ein paar Leerstellen eingebaut, die die Länge von gut über zwei Stunden ausmachen, die aber aufs Ganze gesehen entbehrlich sind, vor allem alle Szenen aus Peters Berufsalltag, die es meiner Ansicht nach nicht gebraucht hätte. Zwanzig Minuten weniger hätten es auch getan, finde ich, und so sehe ich Momente von eindrucksvoller Intensität und Kraft und andere, die die Spannung etwas durchhängen lassen, und das ist ein wenig schade. Dennoch ist dies ein überzeugendes Familiendrama mit hervorragenden Darstellern (und Anthony Hopkins in einer markerschütternd fiesen Kurzrolle) und für unsereinen natürlich sehr vielen Anknüpfungspunkten, wenn es um das ewig komplizierte Verhältnis von Eltern und Kindern geht. Eine scheinbar unerschöpfliche Quelle für immer neue Geschichten, und diese hier gehör auf jeden Fall zu den besseren ihres Fachs. (4.2.)