Till von Chinonye Chukwu. USA, 2022. Danielle Deadwyler, Jalyn Hall, Frankie Faison, Whoopie Goldberg, Jayme Lawson, Tosin Cole, Kevin Carroll, Sean Patrick Thomas, John Douglas Thompson, Haley Bennett

   God’s Own Country im Jahre 1955: Im Radio ertönt sämiger Doo-wop und der strukturelle Rassismus und die strukturelle Gewalt wachsen und gedeihen weiterhin ungehindert, höchstens vielleicht mit einigen lokalen Unterschieden. Der 14jährige Emmett Till aus Chicago reist mit dem Zug nach Money, Mississippi, um seine Cousins zu besuchen – gegen den Willen seiner Mutter Mamie, die ihm unentwegt einbläut, dass dort unten andere Regeln herrschen und er sich um Gottes Willen nie mit Weißen anlegen, sondern im Ernstfall lieber vor ihnen auf die Knie fallen soll. Doch als seine Cousins ihn einmal aus den Augen verlieren, flirtet er unbefangen eine weiße Frau an, und schon bricht der Lynchmob los: Ein paar Männer zerren ihn nachts aus dem Haus seines Onkels, misshandeln ihn grausam und töten ihn. Der Staat Mississippi gedenkt, mit diesem Todesfall so zu verfahren wie allgemein üblich: Der tote Nigger wird irgendwo verscharrt, die Täter kommen pro forma vor ein Gericht mit einer rein weißen Jury, werden freigesprochen, end of story. Doch Mamie Till ist nicht gewillt, sich in dieses Schicksal zu fügen: Sie setzt durch, dass der geschundene Leichnam ihres Sohnes nach Haus kommt und dort offen ausgestellt wird’s, um aller Welt zu zeigen, was mit ihm geschehen ist. Sie nimmt Kontakt zu der gerade wachsenden NAACP-Bewegung auf, vor allem mit Medgar Evers und seiner Frau, und reist in den Süden, um der farcenhaften Gerichtsverhandlung gegen die Mörder ihres Sohnes beizuwohnen. Sie kann das Urteil natürlich nicht verhindern, und sie kann auch nicht verhindern, dass die Täter sich auch später der Gerechtigkeit entziehen werden, doch wird die Geschichte ihres Sohnes zu einem wichtigen Meilenstein in der Bürgerrechtsbewegung der 50er Jahre mit einer Wirkung weit über die Landesgrenzen hinaus. Im Nachspann erfahre ich dann noch zu meinem größten Entzücken, dass die Amis es mittlerweile tatsächlich geschafft haben, ein Gesetz gegen Lynchmord auf den Weg zu bringen, den Emmett Till Antilynching Act nämlich, – und zwar im Jahre 2022! Es sage niemand, die hätten aus ihrer Geschichte nichts gelernt…

   Die kraftvolle, emotional intensive Aufarbeitung einer wahren Geschichte, ganz auf die Person der Mutter, ihre Trauer und ihren entschlossenen Kampf das das weiße Rassistenestablishment fokussiert. Das geht einerseits in Ordnung, weil Danielle Deadwyler das wirklich überragend spielt, sorgt andererseits aber auch dafür, dass die Perspektive recht eng bleibt und uns einige sehr aufschlussreiche Tatsachen abseits der eigentlichen Story erst nachträglich zur Kenntnis gebracht werden. Aber gut, dies ist keine Geschichts- oder Politdokumentation, dies ist ein Drama, auf Breitenwirkung ausgerichtet, was der nach wie vor hohen Relevanz des Themas durchaus angemessen ist. Die furchtbaren Mechanismen des Rassismus in der US-Gesellschaft werden deutlich benannt und mit ebenso deutlicher Parteinahme geschildert, wobei die Unterschiede zwischen Nord und Süd mehrmals dezidiert angesprochen werden und offenbar zu jener Zeit noch eklatant waren. Nicht verschwiegen wird dabei allerdings, dass Mamie und Emmett auch im heimischen Chicago rassistischem Verhalten ausgesetzt sind, dass die Dinge im Norden folglich auch längst nicht so waren, wie sie hätten sein sollen.

 

   In seiner Haltung und Ausdruckskraft ist der Film stark und beeindruckend, keine Frage. Er ist für meinen Geschmack allerdings viel zu langatmig erzählt, vor allem zu Beginn, den man eigentlich völlig hätte kappen können. War lässt sich die Regisseurin lobenswert viel Zeit für Mamie und ihr Umfeld, doch zu oft wiederholen sich die Szenen und setzen allzu vordergründig auf die Erzeugung von Emotionen - die sollten seitens der Zuschauer nun wirklich auch ohne die üblichen Verstärker vorhanden sein, finde ich. Und da es neben Mamie eigentlich kaum Personen mit tieferem Profil gibt, sind wir so gut wie ausschließlich auf ihre Perspektive konzentriert. Das tut dem Film auf Dauer nicht ganz so gut und verschenkt zudem die Möglichkeit, den Fall Emmett Till enger und nachvollziehbarer in die gesamte Bewegung einzubetten, die in diesen Jahren ihren Anfang nahm und noch sehr viele Opfer fordern sollte. Gut und richtig und wichtig ist „Till“ natürlich dennoch, ohne Frage. ˜˜˜˜ (8.2.)