As bestas (Wie wilde Tiere) von Rodrigo Sorogoyen. Spanien/Frankreich, 2022. Marina Foïs, Denis Ménochet, Luis Zahera, Diego Anido, Marie Colomb, Luisa Merelas, José Manuel Fernández y Blanco

   Olga und Antoine versuchen, sich in einem galizischen Bergdorf eine neue Existenz als Landwirte aufzubauen. Die Menschen aus dem Dorf begegnen den beiden Franzosen höchst unterschiedlich: Die einen offen mit Freundschaft, die anderen ablehnend, spöttisch, mit wachsender Aggression. Zum einen, weil Antoine ein paar alte Kotten gekauft und zu Ferienhäusern oder etwas Ähnlichem ausbauen möchte, vor allem aber, weil die beiden gegen das Aufstellen eines Windparks gestimmt und damit die Grundbesitzer um eine größere Geldsumme gebracht haben. Besonders hasserfüllt ist der direkte Nachbar Xan mit seiner Familie, der Antoine zunehmend bedroht, in seine Privatsphäre eindringt, die Tomatenernte vernichtet. Antoine stellt ihn mehrmals zur Rede, doch gibt es keine Verständigung zwischen den beiden: Eines Tages wird Antoine von Xan und seinem Bruder getötet. Olga lässt sich trotz der Lethargie der lokalen Guardia und der verzweifelten Versuche ihrer Tochter, sie zur Rückkehr nach Frankreich zu bewegen, nicht davon abbringen, nach seiner Leiche zu suchen, und nach mehr als einem Jahr ist es endlich soweit.

   Eine sehr lange und sehr bedächtig inszenierte Art von Eurowesternballade, die die zu erwartende Eskalation sehr sorgfältig vorbereitet, um sie dann überraschend früh zum Abschluss zu bringen und auch sonst den üblichen Spielregeln des Genres auszuweichen. Statt einen knalligen, brutalen Thriller zu präsentieren, wie es durchaus möglich gewesen wäre, geht es hier vielmehr um eine Landschaft, die Menschen und ihre Konflikte. Die Menschen ringen dem Land seit Generationen stoisch eine karge Ernte ab oder ringen mit Wildpferden, die sie zwar frei umherziehen lassen, die sie aber dennoch als ihr Eigentum markieren. Das Angebot des Windkraftkonzerns, so läppisch es bei Tageslicht auch sein mag, bedeutet für sie den vielleicht einzigen Weg in eine andere, bessere Zukunft, und das Votum der Franzosen gegen die Windräder macht all ihre Hoffnungen und Illusionen zunichte, denn offensichtlich muss ein einen einstimmigen Beschluss geben. Antoine ist ein ehemaliger Lehrer, ein Intellektueller, der ganz und gar nicht mit dem Boden verwachsen ist, wie beispielsweise Xan und seine Familie, und auch dies trägt dazu bei, dass viele ihn als Außenseiter und Störenfried betrachten, dessen Stimme nichts wert ist. Dabei ist Antoine den Einheimischen in seiner etwas schwerfälligen, stoischen und sturen Art gar nicht so unähnlich – Olga, die sich an dieser Sturheit oft aufgerieben hat, wird sie nach seinem Tod für sich übernehmen und ähnlich kompromisslos darauf bestehen, dass die Suche nach seinem Leichnam erst dann endet, wenn er gefunden ist.

 

   Der Film lebt stark von Bildern und Stimmungen, macht nicht unbedingt viele Worte, und dennoch sind mir zwei lange und eindrucksvolle Dialogsequenzen besonders in Erinnerung geblieben: Ein Gespräch zwischen Antoine und Xan, das als Verständigungs- und Versöhnungsversuch beginnt, um schließlich doch unweigerlich im Dissens zu enden und vermutlich die letzte Chance auf eine friedliche Beilegung des Konflikts versäumt. Und ein zunehmend heftiger Streit zwischen Olga und ihrer Tochter, der so einiges aus der familiären Vergangenheit zutage fördert und der vor allem eine schöne Dynamik hat, wenn abwechselnd Mutter und Tochter am Drücker sind. Nicht nur in diesen Momenten kommt die hervorragende Qualität der Schauspieler voll zur Geltung. Die Regie geht sehr zurückhaltend und dennoch aufmerksam und einfühlsam zu Werke, lässt der Geschichte und dem archaischen Milieu jeweils viel Zeit zum Atmen und Wirken und berichtet aus eine Region Spaniens, die mir bislang noch nicht so präsent war, die hier aber auf beeindruckende, wenn auch recht düstere Weise auf der Leinwand verewigt wird. ˜˜˜˜» (12.12.)