Dāne-ye anjīr-e ma'ābed (Die Saat des heiligen Feigenbaums) von Mohammad Rasulof. Iran/ Frankreich/BRD, 2024. Soheila Golestani, Mahsa Rostami, Setareh Maleki, Missagh Zareh, Niousha Akhshi

   Eine Familie im Schatten der iranischen Diktatur. Papa Imam wurde just befördert und darf fortan für das sogenannte Revolutionsgericht Todesurteile in Serie unterschreiben. Damit tut er sich anfangs schwer, doch bald lernt er, sich mit der Sache zu arrangieren, denn immerhin locken mehr Geld und eine bessere Wohnung. Mama Najmeh spielt ihre angestammte Rolle als Ehefrau und Mutter und ist ihrem Mann in jeder Hinsicht treu ergeben. Aber die beiden Töchter Rezvan und Sara spielen nicht so ohne weiteres mit. Über die sozialen Medien erfahren sie von den mittlerweile täglich aufflammenden Protesten gegen den islamischen Terrorstaat und die brutale Gewalt der Behörden, ob mit oder ohne Uniform, und je mehr Najmeh ihre Töchter abschotten möchte von dieser Realität, desto mehr begehren diese auf, wollen dabei sein, wollen wissen, was sich draußen in der Stadt abspielt. Als Rezvans Freundin Sadaf auf einer Kundgebung eine Ladung Schrot mitten ins Gesicht bekommt und kurz darauf spurlos verschwindet, und sich die Mädchen beim Abendessen immer noch die alten Parolen von ihren Eltern anhören müssen, die ebensogut vom regimetreuen Staatsfernsehen stammen könnten, ist der Familienfriede nachhaltig und für immer zerbrochen. Imans Dienstwaffe verschwindet plötzlich aus seiner Schublade in der Wohnung, und damit drohen ihm Gefängnis, Blamage und der Verlust der Karriere. Er setzt alles in Bewegung, um seinen Töchtern die Wahrheit abzuringen, und letztlich kommt es zu einem wilden Showdown draußen auf dem Land, an dessen Ende Imam den Tod findet. In Teheran derweil toben weiter die Aufstände, und dank der vielen Menschen, die mitfilmen, bleiben sie nicht unbemerkt.

   Man kann sich hier im satten Westen nur so ungefähr vorstellen, unter welchen Umständen ein solcher Film zustande gekommen sein mag, daher bin ich erstmal sehr dankbar dafür, dass es ihn überhaupt gibt. Es gibt natürlich noch andere Gründe, dankbar zu sein, denn dies ist in erster Linie mal ein außerordentlich beeindruckender Film, der mich seine Länge von zweidreiviertel Stunden nie hat spüren lassen, und der seine zwangsläufigen Beschränkungen optimal genutzt hat. Ein intensives Familiendrama, das sich mit nur wenigen kurzen Ausnahmen in der Wohnung abspielt, und über lange Zeit wird der Kontakt nach außen lediglich durch die Medien und durch Augenzeugenerzählungen gehalten. Die öffentliche Sendeanstalt verbreitet unbeirrt ein geschöntes, propagandistisches Bild der Ereignisse oder negiert diese ganz, zeigt lieber Daily Soaps zur allgemeinen Verblödung und Sedierung. Die beiden Mädchen aber sind längst auf anderen Kanälen unterwegs, und die Mutter lässt sich wieder und wieder überreden, zu helfen, beispielsweise der schlimm verletzten Sadaf. Die Familie steht recht programmatisch für die verschiedenen Kräfte im Land: Die reaktionären, die an ihrer Position und ihrer Macht um jeden Preis festhalten, auch wenn es, wie bei Imam zu Beginn, ein paar flüchtige Gewissenskonflikte gibt. Die progressiven, die sich gegen die Tyrannei auflehnen, vor allem gegen die Unterdrückung der Frauen, die noch immer Bestandteil der Kultur ist. Die in der Mitte, die eigentlich mit den alten Werten aufgewachsen und von ihnen geprägt sind, lange an ihnen festhalten, und sich erst durch eigenes Erleben bewegen und die Furcht vor der Veränderung überwinden. Wenn die Handlung dann in der letzten Viertelstunde aus der Enge der Wohnung und der Stadt ausbricht, geht’s plötzlich recht abenteuerlich zu, was ich nach den sehr intensiven und fokussierten zwei Stunden zuvor so nicht erwartet hatte. Wir erleben hier eine dramatische Zuspitzung, als Imam total dicht macht, immer radikaler und gewaltsamer vorgeht, seine Familie fast schon der Folter aussetzt und selbst offenbar zum Äußersten gehen würde, nur um seine Karriere zu retten. Spät wird dann klar, dass die jüngere Tochter die Pistole genommen hat, und spätestens weiß man, dass wohl es keine friedliche Lösung geben wird, und natürlich kann man bei Imams tödlichem Sturz nicht gerade von einem happy end sprechen.

 

   Ein großartig gespielter, geschriebener und inszenierter Film, der sein Anliegen mit Wucht und Entschlossenheit vorträgt, eine essentielle Erzählung über Menschen in der Diktatur, und wie diese Diktatur die Menschen und ihr Zusammenleben spaltet und zerstört. Dass es für den Regisseur nach diesem Film vielleicht keinen Weg zurück in seine Heimat geben kann, ist ebenso traurig wie folgerichtig. Auf jeden Fall nochmal ein beeindruckendes Highlight zum Abschluss eines an Highlights wahrlich nicht armen Kinojahres. In diesem Sinne, adieu 2024… ˜˜˜˜˜ (30.12.)