Coup de chance (Ein Glücksfall) von Woody Allen. Frankreich/England, 2023. Lou de Laâge, Melvil Poupaud, Valérie Lemercier, Niels Schneider

   Seit Mitte der 80er gehörten Woody Allens Filme für mich zum jährlichen Kinokanon, Jahr für Jahr für Jahr, bis ich dann irgendwann im neuen Jahrtausend die Lust verlor und mich nicht mehr damit abfinden mochte, dass er wohl nie wieder an seine Meisterstücke von früher würde anknüpfen können. Und ich gebe zu: Ich konnte auch ohne leben. Das ist jetzt sieben Jahre her, und nun haben mir ein paar Rezensionen den Mund wieder wässrig gemacht, und so ist dies mein 45. Woody-Allen-Film geworden. Ob es auch der letzte sein wird…?

   Ganz nüchtern betrachtet lautet das Fazit: Nicht der schlechteste und nicht der beste, irgendwo in der großen breiten Mitte hat er seinen Platz. Kein belangloses New Yorker Komödchen immerhin, keine peinliche Nabelschau à la Bergman und auch keines seiner (zu) vielen Periodenstückchen aus vergangenen nostalgischen Zeiten. Ein bisschen musste ich kurz an „Match Point“ denken (dessen Qualität dieser Film aber nicht erreicht), denn auch „Ein Glücksfall“ entwickelt sich im Laufe der Zeit zu einem privaten Krimidrama mit einer allerdings sehr schönen makabren Pointe. Ich sage mit Absicht „entwickelt“, denn die Story kommt sehr schleppend in die Gänge, und ich für meinen Teil kann Geplänkel aus der Kulturschickeria, aus denen die erste Hälfte weitgehend besteht, mittlerweile nur noch in ganz kleinen Dosierungen ertragen, egal, ob nun ein wenig Ironie im Spiel ist oder nicht und ganz egal, ob von der Pariser Schickeria die Rede ist oder von der New Yorker oder irgendeiner anderen – sie sind letztlich alle gleich, ihre Themen sind gleich, ihre Versnobtheit ist gleich, ihre Egozentrik ist gleich und Woody Allens Ironie auch, zumal es sich in diesem Falle auch nur um eine eher milde Variante derselben handelt,  jene Variante halt, die die allermeisten seiner vergangenen zwanzig Filme oder so kennzeichnet.

 

   Die dazu gehörige Story ist erstmal recht einfach – Frau trifft Schulfreund, verliebt sich, beginnt eine Affäre und ist drauf und dran, aus ihrer etwas erstarrten Ehe auszusteigen. Dann gibt’s einen schönen Kick, als uns mitgeteilt wird, dass der Ehegatte gar nicht nur der reiche, steife, besitzergreifende Spießer ist, sondern ein höchst rücksichtsloser Kerl, der auch über Leichen geht, wenn es seinen Zwecken dient, und der sich bei Bedarf der Dienste zweier grimmiger rumänischer Schufte bedient. Diese beiden Männer fürs Grobe nämlich kommen wieder zum Einsatz, nachdem sich der Gatte mithilfe einer Privatdetektei davon überzeugt hat, dass seine liebe Gattin tatsächlich auf Abwegen wandelt. Der Geliebte verschwindet urplötzlich, die junge Gattin zieht zunächst die völlig falschen Schlüsse, und plötzlich befinden wir uns in einem zunehmend fiesen und ganz reizvollen Katz-und-Mausdrama, das wiederum eine neue Wendung bekommt, als die Mama der Gattin misstrauisch wird und sich an die Fersen des Schwiegersohns heftet. Das Ganze eskaliert dann bei einem Jagdausflug im Wald und in jener erwähnten Pointe, dem einzigen Moment des Films, an dem ich wirklich laut losgelacht habe, aber damit hat mich Woody tatsächlich ein wenig positiver gestimmt und mich halbwegs gutgelaunt in den Nachmittag entlassen. Selten wurde das Thema Zufall, über das zuvor mehrmals sinniert worden war, schwarzhumoriger serviert als hier. Die zweite Dreiviertelstunde entschädigt damit zu einem gewissen Grad für die etwas lahme erste. Ansonsten erfreue ich mich an den herrlich bunt leuchtenden Herbstbildern Vittorio Storaros, der wie gewohnt sehr eleganten und nach wie vor unnachahmlich leichtfüßigen Inszenierung und den ebenfalls wie gewohnt exzellenten Darstellern, die zu finden für Woody Allen bekanntlich noch nie ein Problem war. Es mag gut sein, dass „Ein Glücksfall“ als Highlight in Woodys Spätwerk durchgehen kann (der letzte wirklich starke Film, „Blue Jasmine“, ist schon über zehn Jahre alt) – wenn ich aber auf die ganzen achtundfünfzig Jahre seit „Tiger Lily“ schaue, fallen mir bestimmt ein Dutzend Titel ein, denen ich auf jeden Fall den Vorzug geben würde. Wie ich schon sagte – irgendwo im breiten Mittelfeld (ein Mittelfeld natürlich, für das andere Filmemacher ihre Großmutter verkaufen würden…). ˜˜˜ (14.4.)