Aku wa Sonzai Shinai (Evil does not exist) von Ryusuke Hamaguchi. Japan, 2023. Hitoshi Umika, Ryo Nichikawa, Ryuji Kosaka, Ayaka Shibutami

   Der Titel ist ein großer Wunschtraum, und die Sehnsucht nach der ökologischen Utopie in unmittelbarer Nachbarschaft zur modernen Städtegesellschaft ist spürbar, der Erfolg in greifbarer Nähe – bis wir dann am Schluss doch den Einbruch von Gewalt und Drama erleben und recht irritiert aus dem Kino schleichen. Eine Zeitlang sieht es tatsächlich so aus, als gäbe es eine Verständigung der beiden Welten – der städtischen und der ländlichen – und als gäbe es sogar die Möglichkeit, von der einen Welt in die andere hinüberzuwechseln, den bisherigen Lebensentwurf komplett hinter sich zu lassen und andere Ziele zu verfolgen als Profit und Prestige. Zwei Mitarbeitende der Agentur, die einem kleinen Dorf ein großes Glamping-Camp schmackhaft machen sollen, lösen sich von ihrem Auftrag, distanzieren sich und nähern sich den Dorfbewohnern an, deren Argumente sie überzeugen und deren Zusammenhalt und Lebensweise sie irgendwie beeindrucken. Statt ihren Chef zu folgen und mehr Druck aufzubauen, um die Landeier von drei Meter hohen Zäunen und einer offensichtlich unzureichenden Kläranlage in einem empfindlichen Naturraum zu überzeugen, beschließen sie spontan, nicht fahrplangemäß nach Tokio zurückzufahren, sondern einfach noch ein bisschen auf dem Land zu bleiben. Bis dahin ist alles in Ordnung, wie es scheint. Dann verschwindet ein kleines Mädchen, ein waidwunder Hirsch taucht auf und zwei Männer verbeißen sich völlig unversehens in einen für einen der beiden womöglich tödlich endenden Kampf. Wem jedenfalls am Schluss der schwere Atem gehört, erfahren wir nicht.

   In diese letzten Minuten lässt sich eine Menge hineinlesen – eine durch den Einbruch der städtischen Raubtiere aus der Balance geratene Welt, in der das Prinzip der friedlichen, vertrauensvollen Koexistenz plötzlich nicht mehr immer und für jeden gilt, die Natur, die sich gegen die drohenden Eindringlinge wehrt, und einiges mehr. Ich habe im Grunde gar nichts gegen solche abrupten Brüche, im Gegenteil, die können oft sehr reizvoll und spannend sein – hier allerdings empfand ich den Schluss eher als ein bisschen befremdlich und auch nicht sonderlich motiviert, denn die beiden Städter hatten zuvor sehr deutlich signalisiert, dass sie sich auf die Seite der Dorfbewohner schlagen würden und sich mit ihrem Arbeitgeber nicht länger identifizieren möchten. Vielleicht ist mir aber auch nur etwas entgangen, gerade was den Kampf der beiden Männer angeht, für dessen Heftigkeit ich keine Erklärung finden konnte. Vielleicht ein Missverständnis, vielleicht die Verzweiflung des Vaters angesichts der Bedrohung seiner Tochter durch das angeschossene Wildtier. Oder doch der Frust der kleinen, archaischen Welt über den Überfall durch die große, kaputte Industriewelt, wer weiß. Diese Polarität der unvereinbar konträren Werte wurde in den hundert Minuten bis dahin sauber aufgebaut, vor allem die von dem Konzern aus Tokio einberufene sogenannte Informationsveranstaltung ist ein Musterbeispiel für eine gelungene Realsatire, denn wie oft hat man diese leeren, hilflosen Phrasen schon ertragen müssen, wenn es keine ehrlichen Antworten gibt, wenn man nicht mal zuhören, sondern eigentlich nur das geplante Projekt durchboxen will. Davor noch lässt sich die Geschichte sehr ruhig und kontemplativ an, die Dorfbewohner, ihre Welt, ihr Miteinander werden ausführlich vorgestellt, und wir verstehen sofort, was auf dem Spiel steht, wenn die Glamping-Spinner anrücken und das große Geld und Fortschritt zum Wohle der ganzen Region versprechen, so als seien alle Menschen automatisch so dumm, sich von derartigen Seifenblasen blenden zu lassen.

 

   Ein optisch und musikalisch schöner Film, der immerhin auch mal ein Japan zeigt, das wir sonst nicht so oft im Kino sehen können. Aufgrund meiner noch immer nicht aufgelösten Verwirrung über den Schluss würde ich dennoch Hamaguchis Vorgängerfilme „Drive my car“ und „Das Glücksrad“ vorziehen. ˜˜˜» (23.4.)