Zielona granica (Green Border) von Agnieszka Holland. Polen/Tschechien/Frankreich/BRD, 2023. Jalal Altawil, Maja Ostaszewska, Tomasz Włosok, Behi Djanati Atai, Mohamad Al Rashi, Dalia Naous, Piotr Stramowski, Jasmina Polak, Marta Stalmierska, Agata Kulecza, Maciej Stuhr
Ich könnte über diesen Film ganz viele Worte machen – oder nur ganz wenige. In ganzen vielen Worten seine Qualitäten rühmen – oder ganz einfach feststellen, dass dies nicht mehr und nicht weniger ist als einer der essentiellen Filme über unsere Zeit: Die Tragödie der millionenfachen Migration aus Syrien, Afghanistan, vielen afrikanischen Ländern, das zehntausendfache Sterben unterwegs auf dem Meer oder in den Wäldern an den Grenzen. Die Flucht vor Diktatur und islamistischem Terror, das Anklopfen an das sogenannte „freie“ Europa. Der Zynismus des belarussischen Diktators, der mit diesen Menschen Pingpong spielt und sie wieder und wieder dem verhassten Nachbarn über die Stacheldrahtgrenze hinüberwerfen lässt. Die hilflose Rohheit der polnischen Behörden, die dieses Spiel mitspielen und die Menschen wieder und wieder zurückwerfen. Die Aktivisten, die sich oft unter Einsatz des eigenen Lebens für die Flüchtlinge einsetzen und sie in Sicherheit zu bringen versuchen. Und zuerst und vor allem die Migranten selbst und ihre Schicksale, die sich vor meinem eigenen Erfahrungshintergrund nicht auch nur annähernd nachvollziehen lassen.
Auf der Suche nach Menschlichkeit in einer Welt, in der so etwas kaum noch vorgesehen ist. Und doch kein hoffnungsloser Film bei aller sprachlos machenden Grausamkeit, denn es gibt helfende Menschen und es gibt auch Menschen, die die Seiten wechseln, die sich anders besinnen, wie der Grenzer, der die Familie hinter Paketen im LKW sieht, den Wagen dann aber doch durchwinkt. Viele verlieren sich auf dem Weg, bleiben zurück, viele verlieren auch ihr Leben, und trotz besagter menschlicher, helfender Gesten wird hier sicherlich nichts beschönigt. Die erste Stunde ist besonders schwer zu ertragen, danach schwenkt der Fokus etwas in Richtung polnischer Aktivisten, bevor zum Abschluss wieder die Flüchtlinge selbst in den Mittelpunkt rücken. Holland macht es niemandem leicht, geht auch mit ihren Landsleuten zeitweise hart ins Gericht, und dennoch ist dieser Film auch ein starkes polnisches Statement, der deutlich sagt und zeigt, wieviele Menschen in Polen aufgenommen wurden und welche Anstrengung dieses bedeutet hat, gerade angesichts einer EU, die sich in mehrfacher Hinsicht „nobel“ zurückgehalten hat. Vieles wird zwischen den Zeilen gesagt. Wie brutal die Migranten oft behandelt, besser gesagt misshandelt wurden, wird indes sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Der Abspann sagt es unmissverständlich: Noch immer sterben Menschen an der polnisch-belarussischen Grenze.
Ein Film, den ich vielleicht nicht unbedingt noch einmal sehen möchte, den aber jeder, so denke ich schon, wenigstens einmal gesehen haben sollte. Er hilft, einiges in eine etwas andere Perspektive zu rücken. In kraftvollem Schwarzweiß und in sehr unmittelbarem Stil gedreht wird er lange nachwirken durch das, was er zeigt und wie er es zeigt. Ein Film über uns, ob wir wollen oder nicht, über Europa und den sogenannten Rest der Welt. Eine humanistische Geste und auf jeden Fall einer der Filme dieses Jahres – und auch der vorangegangenen und folgenden Jahre. » (5.2.)