L’été dernier (Im letzten Sommer) von Catherine Breillat. Frankreich, 2023. Léa Drucker, Samuel Kircher, Olivier Rabourdin, Clotide Courau

   Manchmal kommt’s weniger auf die Story an vielmehr auf die Art und Weise, wie sie erzählt wird. So wie hier – eine Story, die, wenn man sie nur erzählt, aus jedem beliebigen TV-Drama stammen könnte, die aber unter der Regie einer wirklichen Expertin zum fesselnden und eindrucksvollen Drama geworden ist. Eine verheiratete Frau beginnt eine Liebesaffäre mit ihrem Stiefsohn, verrät ihn, als ihr Ehemann sie konfrontiert, verfällt ihm dann aber ein weiteres Mal – hört sich nach Kitsch und Kolportage an, doch die olle Mme Breillat, von der ich seit zwanzig Jahren nix mehr gesehen habe (aus diesem Anlass ein dreifaches Hoch auf unsere Kinolandschaft…) hat daraus doch ein bisschen mehr gemacht, weil sie sich auf ihr Handwerk versteht, weil sie sich vor allem darauf versteht, Menschen, Situationen, Stimmungen und Intimität so einzufangen, dass daraus einhundert zum Teil ziemlich spannende Minuten geworden sind.

   Breillat beweist vor allem ein einmaliges Gefühl dafür, die Anziehung, die Chemie zwischen zwei Menschen greifbar werden zu lassen. Ihr wie gewohnt etwas rauer, direkter, unverblümter Bildstil kommt ihr dabei sehr zugute, zumal sie in diesem Film auf ihre früheren Provokationen durch explizite Erotik verzichtet. Das soll nicht heißen, dass es hier nicht um Sex und Erotik geht, nur eben weniger selbstzweckhaft, als in einigen ihrer früheren Filme, wo ihr meiner Meinung nach die Lust am Affront manchmal eher im Wege stand. Anne erlebt mit Théo etwas, das sie wohl schon viele Jahre nicht mehr erlebt hat, obwohl ihre Ehe mit Pierre alles andere als unglücklich zu sein scheint. Doch der Sog und der Rausch sind so stark und faszinierend, dass sie die Dinge nicht aufhalten, sich nicht entziehen kann, auch wenn die Vernunft ihr sagt, dass sie im Begriff ist, etwas katastrophal Falsches zu tun. Von Anfang an gehen beide diese Affäre von höchst unterschiedlichen Positionen an: Er stürzt sich naiv und leidenschaftlich voll hinein, die hingegen hat immer auch diese Schuldgefühle, fühlt sich ihrer Familie gegenüber verpflichtet. Als es schließlich zur Konfrontation mit Pierre kommt, steht Anne vor der Wahl: Soll sie die Wahrheit sagen oder leugnen. Ein höchst eindrucksvoll inszenierter und von Léa Drucker bravourös gespielter Augenblick – wird sehen sekundenlang ihr Gesicht, es wird nicht gesprochen, und dennoch meint man, ihre Gedanken buchstäblich hören zu können. Sie wägt ihre Optionen ab uns entscheidet sich schließlich für „Angriff ist die beste Verteidigung“, spielt die tief gekränkte, zu Unrecht Beschuldigte, verunsichert ihren sowieso schon total aufgelösten Pierre damit nur noch mehr und hat, wie sie nur zu gut weiß, bei ihm leichtes Spiel. Es kommt zu einigen hässlichen Szenen, in denen sie den hilflosen 17-Jährigen als Lügner hinstellt, um ihre eigene Haut zu retten, doch zuletzt sind ihre Gefühle doch zu stark, und Pierre weiß das – nur will er es eigentlich nicht wissen.

 

   Wenn sowas mit Fingerspitzengefühl in Szene gesetzt wird, kann daraus durchaus etwas werden, und ich denke schon, dass Catherine Breillat das gelungen ist. Starke Bilder, sehr starke Schauspieler und ein enorm dichtes, konzentriertes Drehbuch ergeben ein eindringliches, spannendes Drama, sicherlich ein Highlight des Genres, das einmal mehr beweist, dass die vermeintlich einfachen Geschichten nicht so einfach zu erzählen sind, dass sie aber umso stärker wirken, wenn man es nur richtig anfängt. ˜˜˜˜» (19.1.)