Avec amour et acharnement (Mit Liebe und Entschlossenheit) von Claire Denis. Frankreich, 2022. Juliette Binoche, Vincent Lindon, Grégoire Colin, Bulle Ogier, Issa Perica, Mati Diop
Eine Frau zwischen zwei Männern in der Claire-Denis-Variante: Sara ist scheinbar glücklich mit Jean liiert, doch als sie zufällig François auf der Straße wiedersieht, mit dem sie vor Jean zusammen war, scheint urplötzlich ihre gesamte Vergangenheit über sie hereinzubrechen und sie wird von diesen starken Gefühlen schier überrollt. Und da die beiden Männer auch noch einen Business zusammen aufziehen wollen, lässt sich ein Zusammentreffen über kurz oder lang nicht vermeiden. Und auch nicht das weitere: Die beiden landen zusammen im Bett, der Ex-Lover meldet neue Ansprüche an, und um ganz sicher zu gehen, steckt er Jean, dass Sara ihn betrügt und legt ihm dringend nahe, sich von der untreuen Frau zu trennen – was Jean auch prompt tut. Unglücklicherweise versenkt Sara bei der finalen Aussprache ihr Handy im Badewasser und verliert damit François‘ Kontaktdaten, womit letztlich alle drei Protagonisten einer eher unsicheren Zukunft entgegensehen.
Obwohl Claire Denis das Ganze auf ihre typisch elliptisch-spröde Art und Weise angeht, ist ihr doch einmal mehr eine bemerkenswert gründliche und tiefgehende Darstellung menschlicher Emotionen gelungen, voller Widersprüche, voller Haken und Ösen, voller Leerstellen und auch voller Fragen. Immer wieder hören wir Andeutungen aus Jeans Vergangenheit, unter anderem von seinem Knastaufenthalt, bekommen aber nie letzte Klarheit, welche Rolle sein damaliger Freund François dabei spielte. Und auch gegenwärtig scheint nicht alles rund zu laufen für Jean – er muss Unterlagen für einen Kredit sammeln, pumpt Sara um Ihre Kreditkarte an, und viele seiner Antworten hören sich merkwürdig vage und ausweichend an. Das glückliche Paar, das sich ganz zu Beginn beim Mittelmeerurlaub vorstellt, hat jedenfalls nicht lange Bestand, zu rasch schleichen sich dunkle Untertöne ein. Ebenso eigenartig ist Saras heftige Reaktion auf das Wiedersehen mit François – sie ist völlig außer sich, und spätestens von diesem Moment an entwickelt sich eine zunehmende Entfremdung des Paares, das sich einige Male heftig auseinandersetzt, das es aber nicht schafft, zum Kern ihrer Probleme vorzudringen, weil beide ganz einfach nicht die Wahrheit sagen. Sara spürt, dass Jean etwas verheimlicht, was seine Geschäfte angeht, und Jean wiederum sieht, wie Sara auf François reagiert, nur kann er sie nicht offen zur Rede stellen. François wiederum gebärdet sich sehr unsympathisch als besitzergreifender, eitler Macho, was mich auch nicht sonderlich hoffen lässt für ihn und Sara. Zumal die in ihrem letztem Verbalkampf mit Jean äußert, sie wolle einmal endlich frei sein und frei über ihr Leben entscheiden können – was immer das auch genau bedeutet und was immer das über ihre Beziehungen zu den beiden Männern und auch sie selbst aussagt. Hier hat uns Denis nochmal eine schöne Nuss zum Knacken hingeworfen, und recht bewegt und mit einigen Fragezeichen im Kopf stapfte ich anschließend in den ostwestfälischen Sommerabend.
Trotz einiger Außenszenen ist dies im Grunde ein Kammerspiel, das sich hauptsächlich in Saras und Jeans Wohnung abspielt mit weiteren Schauplätzen in einem Hotelzimmer und im Haus von Jeans Mutter, die sich mit seinem Sohn, ihrem Enkel herumschlägt, für den sie das Sorgerecht hat, vermutlich seit Jean in den Knast und die Beziehung zur Mutter des Jungen in die Brüche gegangen war. Mit wenigen präzisen Strichen zeichnet Denis auf diese Weise ein kompletteres Bild der Hauptfiguren, ohne ihnen die Geheimnisse zu nehmen, denn von denen bleiben am Ende reichlich. Wie immer bei Claire Denis ist dies kein heimeliges Drama mit prima Identifikationsfiguren zum Mitleiden. Wer so etwas haben möchte, war bei dieser Regisseurin schon immer an der falschen Adresse, und es ist sehr sehr schön zu sehen, wie konsequent sie durch die vielen Jahre und Filme bei ihrer Linie und ihren Überzeugungen geblieben ist. Dieser Film (schon ein paar Jahre alt, und deswegen entführt er uns noch einmal in die unselige Pandemiezeit mit Mundschutz allerorten) ist sehr dynamisch und intensiv inszeniert, die Kamera kriecht förmlich in die Personen, ihre Gesichter, ihre Körper hinein, folgt ihnen auf Schritt und Tritt, fordert sie dadurch extrem, erzielt aber auch extreme Resultate. Besonders Binoche ist einfach atemberaubend, die Ausdruckskraft und Tiefgründigkeit ihres Spiels ist auch dann beeindruckend, wenn man wie ich schon viele Filme mit ihr und auch viele hervorragende Darstellungen von ihr erlebt hat. So gut habe ich sie lange nicht, wenn überhaupt schon mal gesehen, und in mehreren langen, leidenschaftlichen Duetten spielen sie und Lindon sich buchstäblich die Seele aus dem Leib, was ich in dieser Form nur selten erlebe. Große Kunst. „Nur“ ein Liebesdrama, könnte man sagen, aber eines, das wahrhaftig an die Substanz geht. » (24.6.)