C’è ancora domani (Morgen ist auch noch ein Tag) von Paola Cortellesi. Italien, 2023. Paola Cortellesi, Romana Maggiora, Valerio Mastandrea, Emanuela Fanelli, Giorgio Corangeli, Francesco Centorame, Vincio Marchioni

   Delia lebt im Rom nach Kriegsende mit ihrem Mann Ivano und drei Kindern in einfachen Verhältnissen. Sie hat mehrere kleine Jobs, spielt Krankenschwester, flickt Regenschirme, steht Schlange am Lebensmittelladen. Ivano behandelt sie wie Dreck, säuft und prügelt, und der bettlägerige Schwiegervater tyrannisiert sie auch nach Kräften. Ihre beste Freundin Marisa will sie ständig überreden Ivano endlich zu verlassen, und die Nachbarinnen aus dem Viertel hören diskret weg, wenn sie mal wieder verdroschen wird. Als ihre Marcella eines Tages mit ihrem Freund Giulio anrückt und plötzlich von Heirat die Rede ist und man sogar ein hochnotpeinliches Essen mit den zukünftigen Schwiegereltern übersteht, scheinen sich die dinge in Delias Welt ein wenig zum Guten zu wenden. Doch dann begreift sie, dass ihre Tochter drauf und dran ist, in einer ähnlichen Ehehölle zu landen wie sie selbst, und mit Hilfe eines netten GIs wird das Problem mit einem buchstäblichen Knalleffekt aus der Welt geschafft. Und auch sie selbst schafft es am Ende (wenn auch mit Marcellas Hilfe), sich wenigstens ein kleines bisschen zu emanzipieren, in dem sie sich ohne Ivanos Wissen und natürlich erst recht gegen seinen Willen zum Wahlbüro davonschleicht, denn Italien war tatsächlich so fortschrittlich, den Frauen im Jahre des Herrn 1946 das volle Wahlrecht zuzugestehen, und Delia ist eine von vielen, die diese großmütige Geste annehmen.

   Dies ist schlicht und ergreifend ein wunderbarer Film – mit soviel Herz und Witz und Gefühl und dennoch auch sehr klar in seiner Haltung und Aussage, dass trotz eines grundsätzlich wenig amüsanten Themas sehr viel Gelächter im Saal zu hören war, und das ist vollkommen in Ordnung. Paola Cortellesi hat einen jederzeit überraschenden, unkonventionellen und sehr anrührenden Film geschaffen, temperamentvoll und lebenbejahend und zugleich auch manches Mal todtraurig. Eine in weichem Schwarzweiß sehr schön fotografierte Hommage an das klassische italienische Kino des Neorealismus, jedoch mit viel Ironie und vielen Brüchen, eine Geschichte von Unterdrückung und Misshandlung und der ganzen Erbärmlichkeit des Patriarchats, die dennoch mit unerhört viel Vitalität und Humor aufwartet, eine Sozialstudie ohne das Melodrama eines de Sica, ohne die bittere Ernsthaftigkeit eines Pasolini, sondern in ganz eigenem Stil, mit Verfremdungseffekten in Form von plötzlich eingestreuten Liedern oder Tanzeinlagen (so mutiert eine Prügelszene beispielsweise zum pas de deux…) und einigen deutlich satirischen Spitzen gegen die italienische Nachkriegsgesellschaft und einer Struktur, die Gewalt gegen Frauen nicht nur duldet, sondern noch immer rechtfertigt, und die permanent zum Wegsehen statt zum Eingreifen auffordert. Die Schlusspointe ist sehr schön – ich habe eigentlich gedacht, Delia will mit ihrem alten Verehrer auf und davonlaufen und wäre auf so etwas wie die Wahl niemals gekommen. Aber die stolzen Gesichter der vielen Frauen, die zum ersten Mal in ihrem Leben ihre Stimme abgegeben haben, machen mir klar, was hier wirklich wichtig ist.

 

   Dies sind also zwei fabelhafte Stunden voller Leben und Liebe einerseits und klarer Kante gegen die ewige Herabwürdigung von Frauen andererseits, und wie Drehbuch und Regie diese beiden Dinge derart überzeugend zusammenbringen, ist schon eine Kunst für sich, und so ist dies ein Film für die Augen, das Herz und das Hirn, großes Kino eben und ein tolles Highlight aus Italien, einem Land, das wie so viele andere still und langsam ins Hintertreffen gerät in der hiesigen Kinolandschaft. ˜˜˜˜˜ (7.4.)