Munch von Henrik Martin Dahlsbakken. Norwegen, 2023. Ola G. Furuseth, Alfred Ekker Strande, Mattis Herman Nyquist, Anne Krigsvoll, Thea Lambrechts Vaulen, Gine Cornelia Pedersen, Lisa Carlehed, Anders Baasmo Christiansen, Ida Elise Broch, Jesper Christensen, Fanny Bornedal, Nader Khademi
Das (leider) seltene Beispiel einer filmischen Künstlerbiographie, die sich selbst angemessener künstlerischer Mittel bedient und tatsächlich den Versuch startet, ein eigenständiges Kunstwerk zu sein statt nur eine weitere biedere Datensammlung anzubieten. Vielmehr nähern sich Drehbuch und Regie ihrem Objekt buchstäblich von vielen Seiten, und was bei vielen Kinobesuchern zweifellos für Irritation sorgen wird, ist ein wie ich finde brillanter Kniff, um die vielen Gesichter eines Künstlers wie Edvard Munch zu versinnbildlichen.
Vier verschiedenen Darsteller, vier verschiedene Orte, vier Zeitebenen: Die Provinz Vestfold Mitte der 1880er, Berlin Anfang der 1890er, eine Nervenklinik in Kopenhagen Anfang des neuen Jahrhunderts, Oslo während des zweiten Weltkriegs. Der junge Künstler auf der Suche nach seinem Weg, mit einer enttäuschten Liebe im Gepäck, der reife Künstler, der in Berlin einen Skandal provoziert und dessen Ausstellung deshalb abgebrochen wird, der ältere Mann in einer akuten Seelenkrise und im Zwiegespräch mit seinem Arzt, der alte Mann, der sein Werk vor den deutschen Besatzern beschützen will. Zweimal wird das relativ konventionell im Stil der jeweiligen Zeit geschildert, einmal wird weiches Schwarzweiß eingesetzt, und die Berlinepisode wird auf die Spitze getrieben, indem Munch in das moderne Technoberlin versetzt und dort mit dem eitlen und selbstsüchtigen Kunstbetrieb konfrontiert wird – begleitet von einem weiblichen August Strindberg mit aufgemaltem Bart. Das mag albern oder auch prätentiös klingen, wirkt aber ganz anders, wenn man den Gesprächen zuhört, denn in denen geht es darum, was den Künstler antreibt, was ihn motiviert, unermüdlich zu schaffen und zu produzieren. Jede Zurückweisung, jede Krise, jede Demütigung (und von allem gibt es reichlich) addiert sich zu einem Weltbild, das sich letztlich in seinen expressiven, scheinbar neurotischen und düsteren Bildern niederschlägt. Kunst entsteht niemals aus Frieden und Harmonie heraus, äußert Munch einmal, kann nur aus Schmerz und Leid entstehen, und entsprechend bezieht er seine Inspiration aus eigenen Erfahrungen, aus seiner Lebensgeschichte oder auch aus Naturimpressionen, die er in hypnotische Tableaus verwandelt.
Der Film versucht gar nicht erst, Munch und sein Schaffen übersichtlich und wohl geordnet vor uns auszubreiten, er nähert sich intuitiv, assoziativ, traut sich ganz einfach, dem Schaffen des Künstlers eine eigene Handschrift an die Seite zu stellen, und das finde ich gut und mutig, zumal ich keinen Grund dafür sehe, vor dem Werk der großen Meister immer automatisch in Ehrfurcht zu erstarren. Ich habe eine Zeitlang gebraucht, mich zurechtzufinden und anzufreunden mit dieser eigenwilligen Darstellung, doch dann fand ich sie zunehmend beeindruckend und konsequent und insgesamt auch ziemlich gekonnt gestaltet. Bildgestaltung, Musikuntermalung und die sehr guten Schauspieler fügen sich zu einem Gebilde, das bewusst kein Ganzes sein will, das vielmehr die Vielgestaltigkeit und Komplexität eines Charakters wie Edvard Munch abzubilden versucht, ohne ihn bis in die letzte Tiefe erklären oder erforschen zu wollen. Auch eine Frage des Respekts, wie ich finde. (8.1.)