Stella. Ein Leben. von Kilian Riedhof. BRD, 2023. Paula Beer, Jannis Niewöhner, Katja Riemann, Lukas Miko, Bekim Latifi, Joel Basman, Damian Hardung, Maeve Metelka, Julia Anna Grob, Gerdy Zint

   Dieser verdammt dämliche erste Satz im Abspann hat es fast für mich kaputt gemacht. Im Ernst: „Stella war zugleich Täterin und Opfer“. Vielen Dank für die Erleuchtung, wirklich, darauf wären wir niemals selbst gekommen… Ich konnt’s erst nicht fassen, aber gottseidank erzählen die zwei Stunden davor eine derart starke und beeindruckende Geschichte, dass ich schnell drüber weggekommen bin.

   Die Geschichte von Stella Goldschlag kann nur eine wahre Geschichte sein – auch der schmierigste Schmierenschreiber könnte nicht dreist genug sein, etwas Derartiges auszuknobeln. Sie zu verfilmen ist dennoch ziemlich riskant, denn man muss es richtig tun, will man sich nicht dem Vorwurf der Kolportage aussetzen. Und unsere glorreiche deutsche Geschichte ist ja immer noch ein delikates Thema hierzulande, auch mit dem Sicherheitsabstand von mittlerweile achtzig Jahren.

   Berlin 1940: Stella ist blond und schön und lebenslustig und singt in einer Swingband. Sie träumt von einer Karriere drüben in den Staaten und lässt sich auch von der zunehmend bedrückenden Gegenwart nicht von diesem Traum abhalten. Aber sie ist Jüdin (was ihr aber allem Anschein nach nie besonders viel bedeutet), und um sie herum häufen sich die Erzählungen von Verhaftungen und Deportationen, die sie allerdings im Moment noch entschlossen ignoriert. Drei Jahre später ist das nicht mehr möglich – Stella und ihre Eltern leben mehr oder weniger im Untergrund, fliehen von Quartier zu Quartier, während überall und unentwegt die Transporte gen Auschwitz rollen. Stella macht Geschäfte mit gefälschten Pässen, lernt den verwegenen Rolf kennen und fällt schließlich den Nazis in die Hände, die sie brutal zusammenschlagen. Sie macht einen Deal, wird Juden an die Nazis ausliefern und dafür ihre Eltern und sich in Sicherheit bringen. Ihren Teil des Deals hält sie ein und verrät hunderte Juden, schickt sie wissentlich in den sicheren Tod, denn sie hat längst von den Gaskammern und dem pausenlosen Töten gehört. Die Nazis halten ihren Teil des Deals nicht ein: Die Eltern sterben im KZ. Nachdem Krieg kommt Stella für zehn Jahre in russische Gefangenschaft, dann schlägt die deutsche Justiz in gewohnter Unbarmherzigkeit zu: Sie wird noch einmal zu zehn Jahren verurteilt, kommt jedoch frei, weil sie ja schon zehn Jahre gesessen hat. Die Freude der Hinterbliebenen ihrer Opfer kann man sich lebhaft vorstellen. Dennoch wird Stella ihres Lebens nie wieder froh und begeht in den 90ern schließlich Selbstmord.

   Trauer empfand ich angesichts dessen wahrlich nicht – zu abstoßend und grausam waren ihre Verbrechen gegen das eigene Volk, zu hochmütig und ignorant ihre spätere Attitüde, als ein alter Freund sie konfrontieren, zur Auseinandersatzung, auch zur Reue bewegen möchte, sie jedoch einmal mehr – wie immer – darauf aus ist, davonzukommen, irgendwie zu überleben. Das ist fürchterlich, und dennoch verliert man die Figur der Stella niemals gänzlich, bleibt ihr immer nahe, so unbequem und herausfordernd diese Nähe auch sein mag. Bei allem was sie tut, verstehe ich irgendwie ihre Gründe (ohne sie im Entferntesten zu teilen). Ihr Hauptbeweggrund für fast alles ist ihr schier übermächtiger Überlebenswille, der sie buchstäblich alles erdulden und erleiden lässt und letztlich auch dafür sorgt, dass sie andere Menschen leiden lässt, wenn auch anfangs nicht ohne Gewissensbisse. Folter, Prügel, Demütigung, Einschüchterung und natürlich auch die jahrelange grauenvolle Angst vor dem Entdecktwerden, den Deportationen in die Gaskammern. An Rolfs Seite findet sie scheinbar eine neue Art von Lebenslust wieder, die sie vielleicht an die guten alten Zeiten erinnert, nur ist dies eine auf furchtbare Art pervertierte Lebenslust, die nichts mehr mit dem übermütig flirtenden Swinggirl von einst zu tun hat. Stella weiß genau, was sie tut und nach anfänglichen inneren Kämpfen tut sie es konsequent und effizient, liefert sogar Freunde von einst dem Henker aus. Und sie weiß genau, dass das, was sie tut, im Grunde vollkommen falsch ist und sie daran vermutlich innerlich zerbrechen wird – und dennoch tut sie es, nur um zu überleben. Jeder Blick in den Spiegel, jedes Überschminken ihres Gesichts, jedes Auftragen einer kühlen, glatten Fassade zeugt von diesem Wissen und der bis zuletzt andauernden Weigerung, jemals Verantwortung für ihre Untaten zu übernehmen. Ich sehe und verstehe es, dennoch ist diese Art von Verdrängung, die über die Kräfte der meisten Menschen gehen würde, absolut unbegreiflich.

 

   Der Film ist sehr vital, spannend und eindringlich erzählt, vermischt wirkungsvoll Zeitbild mit Charakterporträts, und ich finde zumindest, dass es Kilian Riedhof sehr überzeugend gelungen ist, die schwierige Balance zwischen Emotionalität und klaren Blick zu halten. Im Ansatz hat mir auch gut gefallen, dass er nicht mit Kriegsende aufhört, sondern sich wenigstens ansatzweise der Zeit danach inklusive eines leider typisch bundesdeutschen Kriegsverbrecherprozesses widmet, und meinetwegen hätte er das auch noch deutlich ausführlicher tun können, denn mich hätte schon interessiert, wie Stella weiterleben konnte, woher sie die Kraft nahm, noch beinahe fünf Jahrzehnte weiterzuleben, bevor die Schuld sie dann endlich in den Suizid trieb. Was mir von diesem Film dennoch ohne Zweifel am stärksten in Erinnerung bleiben wird, ist Paula Beer, die eine wahrlich spektakuläre Vorstellung zeigt. Ein faszinierendes und ebenso abgründiges Porträt einer selten komplexen, widersprüchlichen, zur Auseinandersetzung fordernden Persönlichkeit, die sie in all ihren Facetten bewundernswert differenziert und souverän herausarbeitet – ihre Lebensgier, ihren Ehrgeiz, ihre Kälte, ihre Angst, ihre Kaltblütigkeit, ihre Scham - und eben genau so, dass ich sie vielleicht abstoßend finden mag, aber niemals den Kontakt verliere. So eine tolle schauspielerische Darbietung sieht man selten, und sie trägt ganz maßgeblich dazu bei, dass dies mehr ist als nur ein weiterer Film aus der Nazizeit (ich weiß ich weiß, viele Leute haben längst genug davon…), sondern an erster Stelle eine extrem spannende und kontroverse menschliche Studie in unmenschlicher Zeit. Das hat seinen Wert und wird ihn auch immer haben, egal wieviel Zeit vergangen ist. ˜˜˜˜» (13.2.)