Sterben von Mathias Glasner. BRD, 2024. Lars Eidinger, Lilith Stangenberg, Corinna Harfouch, Ronald Zehrfeld, Anna Bederke, Robert Gwisdek, Saskia Rosendahl, Saerom Park, Hans-Uwe Bauer

   Ein bisschen bange war mir im Vorfeld schon – drei Stunden Weltsicht à la Glasner, au Backe! Aber so schlimm war’s dann gar nicht, denn Glasner hat seine ganz besondere Form der Menschenaufstellung diesmal auf sehr angenehme Art geerdet, was nicht heißen soll, dass es hier nicht auch tüchtig wüst zugeht. Die Familie Lunies macht ihrem Namen nämlich alle Ehre, wenn man’s auf Englisch denkt: Papa versinkt in Demenz und Parkinson, Mama ist ebenfalls todkrank und dazu noch ein eiskaltes Biest, Sohn Tom ist Dirigent und emotional irgendwie blockiert, Tochter Ellen ist total verstört, trinkt exzessiv und hat sich von der Familie distanziert. Dazu gesellen sich noch: Ein Zahnarzt, verheiratet selbstverständlich, mit dem Ellen eine hochprozentige Beziehung unterhält. Ein Komponist und Toms bester Freund, dessen Partitur er einstudiert und dem er schlussendlich zum Suizid verhelfen wird. Toms Ex, für deren Kind er eine Art zweiter Vater wird. Und eine junge Kollegin von der Intendanz, mit der er am Ende ein eigenes Kind haben wird. Das Leben geht weiter.

   Dieser ebenso einfache wie grundsätzlich optimistische Ausblick war nicht unbedingt zu erwarten, denn zuvor präsentiert uns Glasner einmal mehr die Familie als Schlachtfelds, auf dem man sich ein Leben lang abkämpft und abarbeitet. Verletzungen, die tief sitzen, Schmerzen, die niemals heilen, Dinge, die ungesagt bleiben. Zwei Geschwister, zwei ganz unterschiedliche Arten, mit dem Erlebten fertigzuwerden: Der eine hält schon Kontakt, spürt immer die durchdringende Aversion gegen die Kälte der Mutter, spürt auch, dass er von ihr diese Kälte geerbt hat, kann sich jedoch lange nicht artikulieren. Die andere bricht aus, lebt ein selbstzerstörerisches Leben auf der Rasierklinge und kann auf ihre Familie nur radikal psychosomatisch reagieren. Lilith Stangenberg spielt das zweifellos toll, dennoch brechen ihre Szenen ein wenig aus dem schön balancierten Rhythmus aus, den Glasner im ersten Teil gefunden hat. Das ist inhaltlich durchaus schlüssig, grenzt aber des Öfteren haarscharf am Rande einer Freakshow, die etwas Selbstzweckhaftes hat (beispielsweise Ellens Gesichtsschwellung die ebenso unversehens und unerklärt auftaucht wie sie wieder verschwindet) und die obendrein verhindert, dass mir die Person Ellen irgendwie näher kommt. Sie bleibt mir, anders als Tom, fremd und unverständlich. Eins ist aber klar: Wenn mir jemals eine Zahnarzthelferin begegnet, die ihr ähnelt, dann werde ich unverzüglich die Flucht ergreifen…

 

   Schauspielerisch ist das natürlich allererste Klasse, auch Eidinger, der ja oft ein bisschen drüber ist in den letzten Jahren, hat endlich mal wieder ein richtig prima Rolle. Es gibt einige sehr bewegende, gefühlvolle, intime und auch  beklemmende, dunkle und traurige Momente, manchmal wird‘s wie gesagt etwas schrill und burlesk, und das hätte ich persönlich nicht gebraucht, aber insgesamt habe ich die drei Stunden als durchaus kurzweilig und auf eine gewisse Weise auch unterhaltsam empfunden, und gerade auch der letzte Akzent, der nach vorne blickt und dem Leben den Vorrang gibt, hat mir gefallen. Glasner bleibt sich treu, macht sehr persönliche Filme, die nach wie vor aus dem Rahmen fallen, die manchmal auch provozieren um der Provokation Willen, aber genau davon habe ich diesmal nichts bemerkt – das meinte ich wohl mit „geerdet“. ˜˜˜˜ (29.4.)