The Holdovers (#) von Alexander Payne. USA, 2023. Paul Giamatti, Dominic Sessa, Da’Vine Joy Randolph, Carrie Preston, Brady Hepner, Ian Dolley, Andrew Garman, Gillian Vigman
Lange nichts gesehen vom Mr. Payne, sehr lange. „The Holdovers“ ist glatt dazu geeignet, mich das heftig bedauern zu lassen, denn schon nach wenigen Minuten werde ich daran erinnert, dass dieser Regisseur etwas Besonderes ist, ein Filmemacher mit einer ganz eigenen Handschrift, einem ganz besonderen Gefühl. Für Menschen, auf den ersten Blick ganz normale Amerikaner, jedoch mit der einen oder anderen Schräglage bei näherer Betrachtung. Für ihre Beziehungen, ihre Träume, ihre Einsamkeit, ihre Verschrobenheit. Für ihre Geschichten zwischen Komödie und Tragödie und für eine immer spannende und unberechenbare Mischung aus beidem. Solch ein Händchen findet man nicht oft im US-Film, eine unverwechselbare Stimme, die ich wirklich gern häufiger hören würde.
Paul ist ein richtig netter Kerl – ein alternder, frustrierter Lehrer für antike Geschichte, der nicht in Harvard unterrichtet, sondern an einer zweitrangigen Privatschule für reiche Schnösel, die er fortwährend mit Verachtung straft und mit Hingabe traktiert. Die Weihnachtsferien 1970 nun halten eine besonders „schöne“ Überraschung für ihn bereit – er wird nämlich auserkoren als die Lehrkraft, die diejenigen beaufsichtigen muss, die aus verschiedenen Gründen nicht nach Hause fahren können. Das ist anfangs eine Gruppe von fünf Jungs, doch nach ein paar Tagen reduziert sich die Zahl der Schützlinge auf genau einen. Angus ist ein cleveres Bürschchen, aber leider auch arrogant, faul, gleichgültig, kurz, das perfekte Gegenüber für unseren ohnehin nicht sonderlich gut aufgelegten Helden. Dritte im Bunde ist die Köchin Mary, die just ihren Sohn in Vietnam verloren hat. In den folgenden Tagen nun erleben die drei einige Situationen und Abenteuer, die sie nicht nur enger zusammenrücken lassen, die vor allem in Paul eine Wandlung anstoßen, ihn dazu bringen, seine grundsätzliche Einstellung zu seinen Mitmenschen ein wenig zu verändern, und am Schluss geht er sogar so weit, für Angus vor dessen Eltern und seinem Chef einzustehen, auch wenn es ihn, wie er genau weiß, seinen Job kosten wird. Und so fährt er von dannen in eine unsichere Zukunft in den frühen 70er Jahren.
Vor allem die erste Stunde ist hinreißend. Total witzig und perfekt getimt, eine herrlich pointierte Schilderung des Alltagslebens an der Schule, die zugleich Bühne für sarkastische Misanthropen und verwöhnte Armleuchter ist, dabei insgesamt zweitklassig, immer im Schatten der großen Namen stehend, weswegen Paul auch später einem Kommilitonen von einst nicht die Wahrheit über seinen Arbeitsplatz erzählt. Payne findet einen entspannten und dennoch sehr aufmerksamen und detailfreudigen Erzählton, empfindet sehr unaufdringlich die Zeit der frühen 70er Jahre nach und arbeitet natürlich auch mit einem schönen Soundtrack, wie sich das für einen solchen Film gehört. In vielen Szenen kommt sein besonderes Fingerspitzengefühl im Umgang mit Stimmungen ebenso zur Geltung wie seine ausgesprochene Vorliebe für sperrige, vielschichtige, im Grunde nicht besonders sympathische Charaktere, die durch gründliches und geduldiges Ausleuchten dennoch ausgesprochen menschlich und uns allen verwandt erscheinen. Die Qualität der Schauspieler tut ihr Übriges, lässt die Personen in vielen verschiedenen Facetten erscheinen und macht es zu einem großen Vergnügen, ihnen einfach zuzuschauen. Mit zunehmender Dauer verliert der Film dann ein wenig von seinem ganz besonderen Flair, er zieht sich vielleicht etwas zu lange hin und findet am Ende für meinen Geschmack nicht ganz den richtigen Ton, wird unnötig gefühlig und hätte das absolut nicht nötig gehabt, denn längst war mein Herz eingenommen für die paar schrägen Typen hier auf der Leinwand. Zugegeben ist die ideale Balance der ersten Hälfte ebenso schwer zu treffen wie durchzuhalten, und Payne hat das tatsächlich nicht hundertprozentig hinbekommen, doch das Vergnügen überwiegt deutlich, und ich habe mich gefreut, mal wieder einen solch sehenswerten Film aus den USA präsentiert zu bekommen, der deutlich beweist, dass es zwischen all dem Murks durchaus noch vereinzelte Lichtblicke gibt, und genau die gilt es auch in Zukunft zu erwischen. » (31.1.)