The zone of interest von Jonathan Glazer. England/Polen/USA, 2023. Christian Friedl, Sandra Hüller, Johann Karthaus, Luis Noah Witte, Nele Ahrensmeier, Lilly Falk, Imogen Kogge

   Ein echt deutsches Familienidyll: Papa, Mama, fünf propere Kinder, alle sauber und adrett und wohl erzogen. Alles schmeckt nach unbedingtem Gehorsam und Mutterkreuz, fehlt nur der Schwarzwald als Kulisse. Aber die Kulisse ist genau der Haken hier, denn irgendetwas stimmt nicht so richtig. Eine hohe graue Mauer umgibt das mit deutscher Disziplin gepflegte Gartengrundstück, ständig hört man Gewehrschüsse, Schreie, Hundegebell und andere Arten von Tumult. Tag und Nacht rollen Züge an und qualmen hohe Schornsteine, und ab und zu gibt’s haufenweise Asche zum Düngen der Beete. Aber das stört eigentlich niemanden so richtig – Papa geht jeden Morgen früh zur Arbeit direkt nach nebenan, Mama und die verschiedenen Hausmädchen kümmern sich um den Haushalt und den Garten, die Kinder gehen zur Schule und genießen die Freizeit in der schönen Umgebung. Eines Tages kommt Schwiegermama zu Besuch, reist aber bald wieder ab, weil sie sich irgendwie nicht an die rauchenden Schlote gewöhnen kann. Und Paps wird eines Tages an einen anderen Arbeitsplatz versetzt, muss aber die Familie zurücklassen, denn Mama besteht energisch darauf, hier vor Ort zu bleiben. Weil er in seinem Beruf so gut ist, wird eine neue Operation nach ihm benannt, was ihn sehr stolz macht, und bald kann er dann auch nach Hause zurückkehren. Zuhause – das ist das Konzentrationslager von Auschwitz, und Papa ist der Kommandant und heißt Rudolf Höß.

   Es ist nicht ganz leicht, die Wirkung dieses wahrhaft einzigartigen Films angemessen zu beschreiben. Eine Art komplett gegen den Strich gebürsteter Psychohorrorfilm ist dies, ein Film über die Monstrosität des Alltags oder umgekehrt über den Alltag der Monster. Was in dieser Kombination unmöglich zusammengehen kann, funktioniert hier dank Glazers konsequent durchgezogenem Ansatz, sich rein optisch völlig auf den Alltag zu konzentrieren und den Horror sozusagen nur auf der Tonspur vorkommen zu lassen. Die Schilderungen des Familienlebens werden also fortlaufend begleitet von ominösen, unguten Geräuschen, die eine Art dichter Textur bilden, die sich nie in den Vordergrund drängen, die dennoch in Hintergrund immer präsent sind und das ewige Gerede von Blumen und Beeten und Kochen und dergleichen mehr auf gruseligste Weise unterlaufen. Einerseits also setzt Glazer sehr effektvoll auf diesen schockierenden Kontrast zwischen dem Inbegriff der Hölle und Bildern eines vermeintlich harmonischen Familienlebens, andererseits aber hat er einen ziemlich klaren Blick auf das, was die Nazi-Monster so furchtbar effizient machte. Höß ist ein klassischer deutscher Vernichtungsbürokrat, einer von vielen, wie wir zwischendurch auf einer Konferenz sehen, die sich damit beschäftigt, wie man die Mordmaschinerie noch leistungsfähiger machen könnte: Fleißig, ehrgeizig, gewissenhaft. Der Holocaust ist für ihn (darin scheint er Eichmann sehr ähnlich gewesen zu sein) nicht mehr als eine logistische Herausforderung, die er zu bewältigen hat – den Auftrag an sich würde er niemals in Frage stellen, denn erstens ist er überzeugter Nazi und zweitens ist ein Befehl ein Befehl. Ethische Kämpfe, Gewissenskonflikte oder auch nur der Hauch von Empathie sind ihm vollkommend fremd, darin liegt wohl der Kern des Phänomens. Höß passt damit bestens zu seiner Gattin, denn die hat es auch geschafft, den grauenhaften, tagtäglich verübten Massenmord direkt nebenan einfach wegzuschieben aus ihrer Wahrnehmung und ihrer Welt, und nur so kann sie vermutlich selbst überleben und das tun, was sie jahrelang mit eiserner, nur gelegentlich mal angekratzter Beherrschung tut – die Frau an seiner Seite sein und ihn in allem unbeirrt zu unterstützen. Es ist auf eine abgründige, erschreckende Weise fast schon wieder faszinierend, mitanzusehen, wie diese Leute es fertigbringen, millionenfachen Tod und unsägliches Leid zu einem ganz selbstverständlichen Alltagsbegleiter zu machen, zu einem Broterwerb unter vielen, und wenn man gut ist in seinem Beruf, dann darf man eben auch stolz darauf sein. Dabei versucht sich Glazer keineswegs als Analytiker, er rückt seinen Personen niemals sonderlich dicht zuleibe, im Gegenteil, er bewahrt auch optisch eine auffällige Distanz, die sich auch in der Arbeit seiner Schauspieler zeigt, die zu keiner Zeit darum bemüht sind, psychologisch ausgefeilte Charakterstudien abzuliefern.

 

   Gelegentlich baut Glazer kurze Irritationen ein, eine optisch verfremdete Sequenz mit einem Mädchen, das für die Zwangsarbeiter Nahrungsmittel versteckt, oder gegen Ende einen jähen Sprung in die Gegenwart, wenn wir eine Reinigungskolonne sehen, die die Gedenkstätte zu Auschwitz nach Besuchsende wieder auf Vordermann bringt und wir ganz nebenbei noch einmal eine kurze Ahnung von dem ungeheuerlichen Ausmaß der deutschen Verbrechen bekommen. Der Film beginnt und schließt mit schwarzer Leinwand und einem zunehmend atonalen, düsteren, schmerzhaften Choral, der für sich genommen schon sehr viel mehr sagt als viele Worte. Wie gesagt – es ist schwer, diesen Film zu beschreiben, er hinterlässt neben der üblichen Aufgewühltheit eine Art von Sprachlosigkeit, die ich nicht oft erlebe nach einem Film. Aber einen Film wie diesen sehe ich sowieso nicht oft, und das ist wohl auch ganz gut so. ˜˜˜˜˜ (4.3.)