Treasure (Treasure – Familie ist ein fremdes Land) von Julia von Heinz. BRD/Frankreich, 2024. Lena Dunham, Stephen Fry, Zbigniew Zamachowski, Tomasz Wlosok, Sławomira Łozińska, Iwona Bielska, Wenanty Nosul
Ruth ist eine Journalistin und lebt in New York und überredet eines Tages 1991 ihren Vater Edek, mit ihr zusammen dessen Heimat Polen zu bereisen, weil sie gerne mehr über ihre Wurzeln erfahren möchte. Er macht ihr diesen Wunsch nicht leicht, reist lieber per Taxi statt per Zug und hat nicht die Absicht, ihren minutiös ausgetüftelten Reiseplan einzuhalten. Stattdessen freundet er sich mit dem Taxifahrer und zwei reisenden Damen an und steigt nicht so recht auf die von ihr beabsichtigte Reise in die Vergangenheit ein und auch nicht auf ihre Versuche, nach dem Tod ihrer Mutter endlich eine engere und offenere Vater-Tochter-Beziehung herzustellen. Weil sie aber so hartnäckig und entschlossen ist, muss sich Edek dann doch einigen Begegnungen stellen. Mit seinem Elternhaus in Lodz etwa, mitsamt jener Leute, die unmittelbar nach der Vertreibung seiner Familie 1940 dort einzogen und sich nun mit unverhohlener Gier und Dreistigkeit viele hundert Dollars dafür bezahlen lassen, dass sie Ruth das Eigentum von Edeks Eltern und Großeltern überlassen. Oder mit der Fabrik, die der Familie einst gehörte und die nun halb verfallen und von obskuren Geschöpfen behaust vor sich hingammelt. Vor allem aber natürlich mit dem Vernichtungslager Auschwitz, das er und seine zukünftige Ehefrau und Ruths Mutter als einzige aus der Familie überlebten, über das er aber mit seiner Tochter niemals sprechen konnte. Am Ende ihrer gemeinsamen Reise versteht sie das ein bisschen besser, und er kommt ihr andererseits entgegen und erzählt eben doch einiges, was sie noch nicht wusste, und so reisen sie heim nach New York und sind sich wohl doch ein wenig nähergekommen.
Dies ist ein bemerkenswerter Film, weil er seine heikle Balance über weite Strecken ziemlich gut hinbekommt. Wie verbinde ich das Grundthema Holocaust und seine Folgen mit durchaus humorvollen und skurrilen Momenten, und wie bringe ich darin dann auch noch eine komplizierte Familienkiste und allerhand andere private Befindlichkeiten unter – und wie mache ich das, ohne mich total zu verfransen oder alles in einen einzigen bräsigen Feelgoodeintopf zu verquirlen. Ich finde, Julia von Heinz hat das wirklich gut gemacht und hat zusammen mit ihren sehr starken Darstellern angemessen unbequeme und gar nicht stromlinienförmige Charakterporträts entworfen, die mir eine Identifikation absolut nicht leicht machen, die aber eben auch vorschnelle Bewertungen und Beurteilungen verhindern. Ruth ist in manchen Momenten eine ziemlich unempathische und selbstzentrierte New Yorker Stadtneurotikerin, die sich einen Plan zurechtgelegt hat und nun verbissen an ihm festhalten will und von den Extratouren ihres Vaters abwechselnd peinlich berührt und genervt ist. In manchen Momenten ist sie aber auch nur eine Tochter, die irgendwie versucht, wirklichen Kontakt zu ihrem Vater herzustellen, zu seinen Erinnerungen, seinen Gefühlen, und die auf der Suche ist nach seiner und damit auch ihrer Vergangenheit, was ja wiederum sehr menschlich und verständlich und wichtig ist. Edek wiederum hat eine wirkungsvolle Fassade als launischer Filou aufgebaut, unberechenbar, unzuverlässig und augenscheinlich allzusehr den Freuden des Lebens zugeneigt. Von seinem Leben in Polen möchte er am liebsten gar nichts mehr wissen und streitet entschieden ab, dass diese Zeit heute noch irgendwelche Bedeutung haben könnte. Hinter dieser Fassade sieht es natürlich ganz anders aus – er vermisst seine Ehefrau schmerzhaft und bricht beinahe zusammen, als er in Auschwitz mit dem konfrontiert wird, was er dort als Kind erleben musste und was sich eben nicht erzählen lässt. Es gelingt ihm wenigstens teilweise, seiner Tochter das verständlich zu machen – das Grauen des Lagers ist weder in Bilder noch in Worte zu fassen, und wenn die Nachfolgegeneration ihren Eltern beständig vorwarf, nicht darüber zu sprechen, so wie Ruth es hier tut, dann versteht sie eben nicht (kann es natürlich auch nicht verstehen), was es bedeutet, diese Zeit erlitten und überlebt zu haben, und dass viele der Opfer vielleicht nur deshalb weiterleben konnten, indem sie ihre Erlebnisse vorübergehend oder auch vollkommen und endgültig verdrängten. Vieles bleibt zwischen Ruth und Edek unausgesprochen, aber es ist dennoch präsent zwischen ihnen, in seinen Blicken, seiner oft fast verzweifelten Flucht in Humor und Ausschweifung, und es ist eine besondere Kunst, uns das alles ebenfalls ohne viele Worte zu zeigen und begreiflich zu machen.
Julia von Heinz hat mit sehr viel Fingerspitzengefühl und Aufmerksamkeit für Atmosphäre, Stimmungen, Details inszeniert. Sie hat auf grobe und überdeutliche Effekte verzichtet, nähert sich ihren Figuren respektvoll, mit Zuneigung und einer gewissen Distanz zugleich und hat so, zumindest für meine Empfindung, einen sehr berührenden und ausdrucksvollen Film geschaffen, der auf selten eindringliche Weise von der Vergangenheit und der Gegenwart erzählt. » (23.9.)