Zwei zu eins von Natja Brunckhorst. BRD, 2024. Sandra Hüller, Max Riemelt, Ronald Zehrfeld, Peter Kurth, Martin Brambach, Ursula Werner, Tom Keune
1990 war offensichtlich so etwas wie die zweite Stunde Null in der deutschen Geschichte. Ein System ist in sich zusammengestürzt, an seine Stelle ist aber noch nicht das neue getreten, sodass die Situation in der ehemaligen DDR für einige Zeit extrem instabil oder auch vogelwild ist. Die Geschäftemacher aus dem Westen fallen wie gierige Heuschrecken ein, während die Politiker aus dem Westen bestrebt sind, den „Anschluss“ der neuen Bundesländer möglichst zügig zu vollziehen. Die alten VEBs im Osten brechen in Serie ein, die Menschen stehen auf der Straße, niemand weiß so recht, wie es weitergehen soll, so auch in Halberstadt, wo unsere Helden leben, ein Ehepaar mit Kindern und einem engen Freund (und früheren Geliebten der Ehefrau und Vater ihrer Tochter), der offenbar vergeblich versucht hat, im Goldenen Westen Fuß zu fassen und nun wieder vor der Tür steht. Diese drei bekommen eher zufällig Wind davon, dass in einem nahegelegenen „Komplexlager“ die gesamten ausgedienten DDR-Papiergeldreserven verstaut wurden. Weiterhin erfahren sie, dass die Frist für den Umtausch des alten DDR-Geldes in die neue D-Mark noch drei Tage beträgt. Und da sie gerade nichts Besseres zu tun haben, beschließen sie, sich genau diesen Umstand zunutze zu machen und die alte Währung kurz vor ihrem endgültigen Tod doch noch einem guten Zweck zuzuführen...
Angelehnt ist diese Story tatsächlich an eine wahre Geschichte, so unglaublich das auch klingen mag. Ich habe davon noch nie gehört, ebenso wenig von den Komplexlagern, die zumeist in alten unteririschen Bunkeranlagen aus der Nazizeit entstanden sind. Es kommen immer wieder Details aus der DDR-Geschichte im Vorschein, die mir schlicht die Sprache verschlagen, und das allein macht Filme wie diesen so reizvoll. Reizvoll ist auch die Balance zwischen skurriler Komik und bitterem Ernst, die hier sehr geschickt gehalten wird. Das merkwürdige Treiben einer Halberstädter Hausgemeinschaft, die Heuschrecken mit den dicken Wessi-Autos und den dicken Warenkartons, die Anzugträger, die schlussendlich in Gestalt Genschers an die Robin Hoods appellieren, ihre Aktivitäten doch bitte aus Rücksicht auf „höhere“ Interessen einzustellen, und dann noch die Berge von Geld in den unterirdischen Stollen, all dies ist mal schräg und witzig und mal todtraurig, weil mir natürlich einmal mehr vor Augen geführt wird, wie gnadenlos und rabiat hier ein Staat abgewickelt wurde und leider seine Menschen gleich mit. Um den Staat muss man gar nicht trauern, das ist völlig klar, aber wie viele Leute plötzlich vor dem Nichts standen oder vor der suggerierten Einsicht, dass ihre Identität aus den letzten vier Jahrzehnten wertlos ist und schnellstens auf den Abfallhaufen der Geschichte zu wandern hat, das ist immer wieder erschütternd, selbst dann, wenn es auf eine vermeintlich leichte Weise erzählt wird. Als Autorin und Regisseurin versteht es Natja Brunckhorst sehr gut, diese beiden Ebenen immer wieder gleichberechtigt zur Geltung zu bringen, sodass ich in diesem Falle vielleicht von einer Art Tragikomödie sprechen würde. Die Rahmenbedingungen passen auch, die alte DDR wird gekonnt und mit augenzwinkernder Ostalgie auf die Leinwand gebracht, und das vorwiegend aus Ost-Schauspielern zusammengestellte Ensemble ist mit sichtlicher Spielfreude am Werk. Hier geht’s gottlob auch nicht ums Jammern – Tatkraft und Erfindungsreichtum und eine gute Portion Chuzpe sind gefragt, und es macht Spaß mitanzusehen, wie diese Leute die äußeren Umstände ein einziges Mal für ihre Zwecke nutzen, sprich die Wessiheuschrecken in ihren Plan einbinden und eine klassische Win-Win-Situation schaffen. Der gute Onkel Hans Dietrich lässt zwar am Ende die Stimme der „Vernunft“ obsiegen, doch haben unsere Helden nicht nur ein paar Reichtümer angehäuft, sondern auch ihren mächtig gebeutelten Stolz wieder ein wenig aufpoliert. Und so ist eine amüsante und in manchen Momenten durchaus auch etwas bissigere Satire entstanden, die deutlich darauf hinweist, dass die Gewinner und Verlierer der sogenannten Wiedervereinigung geographisch doch sehr ungleich verteilt waren. (28.7.)