Armand von Halfdan Ullman Tøndel. Norwegen/Schweden/Niederlande, 2024. Renate Reinsve, Ellen Dorrit Petersen, Thea Lambrechts Vaulen, Endre Hellestveit, Øystein Røger, Vera Veljovic

   Kurz vor den Sommerferien wird Elizabeth in die Schule ihres Sohnes Armand zitiert. Was sie dort zu hören bekommt, zunächst im kleinen Kreis mit einer Lehrerin und einem anderen Elternpaar, ist heftig: Armand soll seinen Freund John, den Sohn des besagten Paares, geschlagen und sexuell misshandelt haben – und das mit sechs Jahren. Elizabeth streitet die Vorwürfe empört ab, doch bald kommt heraus, dass Armand und sie nach dem Tod ihres Ehemannes und Vaters Thomas in angespannten Verhältnissen gelebt haben. Die Beziehungen der Anwesenden entpuppen sich als recht komplex, und bald kommen zwei weitere Lehrkräfte hinzu, die nun versuchen, das Ansehen der Schule aufrecht zu erhalten und eine annehmbare Lösung zu finden. Das geht aber schief – Elizabeth schmeißt einen lupenreinen hysterischen Anfall, und danach geraten die Dinge allgemein ein wenig außer Kontrolle.

 

   Und was als halbwegs alltägliche, wenn auch extrem unangenehme und konfliktträchtige Situation beginnt, entwickelt sich zu einem deliranten Malstrom aus Halluzinationen und Visionen, allesamt gespeist von den Ängsten und Neurosen der Akteure. Die meisten haben eine lange Geschichte miteinander, weswegen Verbitterung, Misstrauen und Aversion auch so tief sitzen und in diesem Setting vollkommen unauflösbar scheinen, erst recht angesichts des hochnotpeinlichen Herumeierns der Pädagogen, die niemandem auf die Füße treten, selbst möglichst sauber dastehen und natürlich die Ehre ihrer Institution retten wollen. Als Zuschauer winde ich mich selbst ein wenig mit, zumal der Regisseur gar keine Gnade kennt und viele Szenen bis hart an die Schmerzgrenze treibt – wenn man der Enkelsohn von Ingmar Bergman und Liv Ullman ist, hat man natürlich einen Ruf zu verteidigen und zugleich eine enorme Bürde zu schultern. Das hat der Enkel aber ziemlich gut hingekriegt, hat sich gar nicht erst auf Opas Spezialgebiet der konzentrierten seelischen Nabelschau eingelassen, sondern ein mit knapp zwei Stunden Laufzeit recht ausuferndes und auch gestalterisch vergleichsweise abenteuerliches Psychodrama abgeliefert, das mir zunehmend den Boden unter den Füßen wegzieht, solange, bis ich am Ende gar nicht mehr so richtig weiß, was nun Wahrheit ist, was und was pure Einbildung. Scheinbar ist Elizabeths Armand nun doch nicht ganz so schuldig wie anfangs behauptet, doch die abschließend kurz beleuchtete heimische Idylle mit Mutter und Sohn hat mindestens einen Beigeschmack des Zweifels, wie überhaupt alles hier. Die Eltern und Lehrkörper kommen alles in allem nicht ganz so gut weg in dieser Geschichte. Egozentriker, Soziopathen, Heuchler und noch viel mehr, die ständig behaupten, nur das Beste für ihre Kinder zu wollen, und sich dabei doch nur selbst meinen. Elizabeths Vergangenheit ist dabei ebenso ominös und verdächtig wie die ihrer Schwägerin und ihres Schwagers, die zugleich Johns Eltern sind, und insgesamt bleibt die Geschichte dieser Familie ziemlich undurchsichtig. Das hat manchmal einen recht düsteren Anstrich, manche Szenen sind durchaus bedrohlich in ihrer verzerrten Intensität, und schauspielerisch ist das auf jeden Fall exzellent umgesetzt. Keine leichte Kost auf jeden Fall, und ich weiß nicht, ob der Herr Ullman Tøndel nicht auf die eine oder andere Fremdschäm-Minute hätte verzichten können. Trotzdem ein ziemlich ungewöhnlicher und unbequemer Film, der dem zurzeit sehr beliebten Eltern-Schule-Thema eine interessante psychedelische Note hinzufügt und dafür höchst effektvolle Bilder gefunden hat. ˜˜˜˜ (22.1.)