Heldin von Petra Volpe. Schweiz, 2025. Leonie Benesch, Sonja Riesen, Selma Aldin, Alireza Bayram, Urs Bihler, Aline Beetschen
Was ich vom Titel halten soll, weiß ich noch nicht so recht – vorausgesetzt, er ist nicht ironisch oder gar zynisch gemeint. Glaub ich aber nicht. Ich habe zwar keine besonders klare Vorstellung von dem, was eine Heldin ausmacht, aber ich gehe irgendwie davon aus, dass eine Heldin wenigstens in gewisser Weise eine Kontrolle über ihre Situation oder ihr Schicksal hat. Was ich hier sehe, ist keine Heldin, sondern eine Frau, die sieben oder acht Stunden mitgerissen wird von einem Malstrom und einfach nur zu überleben versucht. Vielleicht liegt darin ja auch schon das Heldenhafte, dass sie das tatsächlich schafft und dass sie es auch schafft, zwischendurch wenigstens einige wenige kurze Momente der Menschlichkeit und Würde zu kreieren – ja, vielleicht ist das schon eine Heldentat für sich.
All dies in einem System, das seit vielen Jahren von den politischen und finanziellen Entscheidern sehenden Auges vor die Wand gefahren wird. Die demographische Entwicklung – seit Jahrzehnten bekannt. Der unweigerlich auf uns zukommenden Fachkräftemangel – ebenso lange bekannt. Die unweigerlich auf uns zukommende Welle pflegebedürftiger Babyboomer – auch bekannt. Gleichzeitig nimmt das sogenannte Qualitätsmanagement mit den daran geknüpften Prüfkriterien immer wahnwitzigere Ausmaße an, denen eigentlich nur noch akademisch geschultes Personal gerecht werden kann. Woher das kommen soll, weiß niemand. Woher die fehlenden Fachkräfte kommen sollen, weiß auch niemand. Wie das Ganze finanziert werden soll, weiß erst recht niemand. Und da der gesamte Pflegesektor ebenso wie so gut wie jede soziale Arbeit keine Gewinne generiert (jedenfalls nicht, wenn man es seriös angeht), ist diese Misere offenbar von geringem Interesse für diejenigen, deren wirtschaftliche Unterstützung dringend nötig wäre. Es wird jedenfalls so gut wie nichts unternommen, es sei denn, man wertet die lachhaft halbherzigen Pflegestärkungsgesetze als ernsthafte Versuche der Politik, die Situation in den Griff zu bekommen. Aus jahrzehntelanger eigener Erfahrung kann ich sagen: Es hat nicht funktioniert…
Floria arbeitet in der Schweiz in einem Krankenhaus, und es sieht gleich so aus, als sei die Lage dort nicht wesentlich besser: Wir sind heut nur zu zweit, tönt es ihr bei Schichtbeginn entgegen, und eine Schülerin haben wir auch noch. Floria auf der einen Seite, die Kollegin auf der anderen, und die arme Schülerin wird natürlich hin- und hergeschickt. Klar, dass die Etage voll belegt ist, klar, dass ständig das Telefon piept, und irgendjemand zum CT gebracht oder aus dem OP abgeholt werden muss, klar, dass kein Arzt ansprechbar ist, und sich die Patienten folgerichtig immer an die Schwestern wenden, und klar auch, dass der Ton schnell fordernder, frustrierter, vorwurfsvoller wird. Florias anfänglich freundliches Lächeln jedenfalls wird bald ein wenig mechanischer, dann verschwindet es ganz der starren Maske einer Frau, die irgendwie versucht, die Beherrschung zu wahren. Meistens gelingt es, einmal nicht, und dann fliegt eine teure Uhr aus dem Fenster. Ihre Professionalität läuft praktisch wie von selbst nebenher, die Handgriffe sind mechanisch, x-mal geübt und ausgeführt. Die Patienten und ihre Angehörigen erscheinen immer anstrengender, egozentrischer, aggressiver, doch ihre Anliegen sind jedes für sich genommen natürlich vollkommen legitim und verständlich, nur kann eine zunehmend gestresste Krankenschwester das irgendwann nicht mehr so sehen. Und trotz allem setzt sie hin für eine Minute ans Bett, hört mit sichtlich gezwungener Ruhe ein paar Minuten zu, weil sie natürlich genau weiß, was die Leute eigentlich brauchen. Gleichzeitig weiß sie, dass sie ihnen genau das nicht geben kann, und sie wird genau wie die meisten anderen in der Branche früher oder später daran zerbrechen. Im Nachspann lesen wir, dass Pflegekräfte nach durchschnittlich 4 Jahren aufgeben – das wird zukünftig eine eher optimistische Schätzung sein.
Der Film, den sich unbedingt all jene anschauen müssen, die immer noch glauben, im Krankenhaus sei es cooler als im Pflegeheim, verdichtet sicherlich viele Situationen in einer einzigen Spätschicht, doch könnte ich mich locker an Dutzende solcher oder ähnlich chaotischer Schichten erinnern – übertrieben ist hier gar nichts, sondern vielleicht höchstens pointiert zusammengefasst und alles in allem immer beängstigend realistisch. Dieser Job ist tagtäglich eine haarsträubende Jonglage auf verlorenem Posten, und alle paar Minuten kommt gefühlt ein Ball dazu. Natürlich passiert Floria dann ein Fehler, sie verwechselt ein Schmerzmittel, der Patient reagiert allergisch, vor der verständnisvollen Ärztin steht sie dann wie ein dummes Mädchen da und macht sich bitterste Vorwürfe, so wie wir es immer tun und immer getan haben – das System hat uns und unser Gewissen voll im Griff. Spätabends verlässt sie dann das Krankenhaus, total geschafft und in dem Wissen, dass es morgen genauso weitergehen wird, und übermorgen und nächste Woche undsoweiter. Wer will das vier Jahre lang aushalten?
Ein beklemmender, atemberaubender Alltagshorrorfilm, wenn man so will, von Leonie Benesch absolut überragend gespielt, ein Film, der äußerst präzise beobachtet, ohne jemandem zu nahe zu treten, der ein gnadenloses System vorführt, ohne groß polemisieren zu müssen und der auf jeden Fall ein sehr nötiges und sehr deutliches Statement ist. Die kommende Katastrophe wird er nicht verhindern können, er wird vermutlich nicht einmal einige der Anzugträger aus ihrer Tatenlosigkeit und Gleichgültigkeit reißen können, aber er erweist auf jeden Fall denen, die diese Katastrophe auszubaden haben, seinen Respekt. Mehr kann man wohl nicht tun. » (4.3.)