Kneecap von Rich Peppiatt. Irland/England, 2024. Naoise Ó Cairealláin, Liam Óg Ó hAnnaidh, JJ Ó Dochartaigh, Josie Walker, Fionnuala Flaherty, Jessica Reynolds, Simone Kirby, Michael Fassbender
Kneecap ist der schöne Name einer Belfaster Hip-Hop-Band, die so um 2017 gegründet wurde und, so wird es uns hier jedenfalls vorgeführt, aus einem Musiklehrer und zwei Spackos besteht. Der Musiklehrer engagiert sich zusammen mit seiner Frau für die Anerkennung der irischen Sprache und Kultur, nur zweifelt er mit Recht daran, dass die Kids von heute noch was von Kartoffelfäule und Torfstechen hören wollen. Die beiden Spackos dealen ein bisschen und wissen ansonsten nicht allzuviel mit ihrem Leben anzufangen, aber beide sprechen ebenfalls Gälisch, und man lernt sich schließlich kennen, als der Musiklehrer in einem Polizeiverhör dolmetschen muss, weil einer der beiden Spackos sich partout weigert, Englisch zu sprechen. Der Lehrer hat eine Idee, weil der Spacko in seinem Notizbuch ein paar interessante Texte stehen hat, kramt ein altes Mixpult aus einer Ecke in seiner Garage, und plötzlich gibt’s einen Song, der alsbald im Pub nebenan zur Aufführung kommt und sich dann ziemlich schnell über die sozialen Kanäle verbreitet, weil ein Mädchen ihr Handy reingehalten hat. Was jetzt eine tolle Erfolgsgeschichte werden könnte, wird aber doch wieder nur eine irische Geschichte: Irgendeine radikal-republikanische Splittertruppe funkt ständig dazwischen, weil sie angeblich gegen Drogen kämpfen, und die Unionists sind sowieso dagegen, weil einer der drei auf einem Konzert seinen Arsch zeigt, auf dem „Brits out“ zu lesen steht, und eine extrem verbissene Uniformträgerin hat sich an die Fersen der beiden Jungs geheftet und verfolgt sie mit den seit jeher in Irland üblichen Methoden. Dazu kommen alle möglichen privaten Turbulenzen für die drei, und so dauert es ein paar Jahre, bis sich die Band gefunden und etabliert hat und irgendwie auch als eine Stimme in der irischen Kulturbewegung Nordirlands anerkannt wird.
Das hier ist natürlich kein Dokumentarfilm. Dies ist eine knallbunte, laute, schrille, schräge, launige Achterbahnfahrt durch eine Stadt, die angeblich im Waffenstillstand lebt, die aber stets auf äußerst dünnem Eis wandelt und von Menschen bevölkert wird, die vielfach nur auf den berühmten Funken warten, der das Fass wieder zur Explosion bringt. Waffen und Gewalt sind noch ebenso alltäglich wie die zahllosen Graffitis auf dem Häuserwänden, und es gibt wohl kaum eine Familie, die nicht irgendwie durch die sogenannten „Troubles“ geprägt wurde. Der eine hat seinen Vater verloren, der angeblich gestorben ist, in Wahrheit aber abgetaucht im Untergrund lebt und plötzlich wieder aufkreuzt. Andere bleiben in militanten Gangs organisiert, wieder andere versuchen sich als Drogendealer, wieder andere gehen einen konstruktiveren Weg und machen sich dafür stark, dass die eigene Sprache endlich politisch anerkannt wird, was dann, wie uns der Nachspann nüchtern mittelt, im Jahre des Herrn 2023 (sic!) tatsächlich geschieht. Die Spaltung ist geblieben, die Zerrissenheit, die Unversöhnlichkeit der beiden Lager, und natürlich könnte Kultur eine wichtige Rolle bei den Versuchen spielen, die Gräben zumindest ein wenig zuzuschütten, doch allzu große Illusionen macht sich wohl niemand, und so versinkt dieses Land irgendwie in einer gewissen Paralyse und hat sich gleichzeitig längst schon aus unserer öffentlichen Wahrnehmung verabschiedet, denn wann hören wie hierzulande schon mal was aus Irland? Ein lebendiger, witziger und gleichzeitig ziemlich tiefgehender Film wie dieser könnte wieder ein wenig abhelfen, zumal er sich mit seiner Mischung aus schwarzem Humor und mitreißender Musik durchaus an ein anderes Publikum wenden könnte als das, was heute Abend mal wieder in geringer Anzahl im Kinosaal versammelt war. Er verbindet seine vitale Erzählung sehr gekonnt mit einer größeren Variation an Themen, ohne überfrachtet zu wirken oder gar an Unterhaltsamkeit einzubüßen. Mir hat besonders gefallen, wie plastisch und prägnant die vielen Nebenfiguren ausgearbeitet wurden, sodass um unsere drei Helden herum ein sehr vielgestaltiges Umfeld gebaut ist, wobei natürlich häufig mit Klischees und Übertreibungen gespielt wird. Auch als jemand, der dem Hip Hop nicht sonderlich nahesteht, hat mir die Musik dennoch gefallen und sie zeigt, dass gerade diese Stilrichtung für jedwede kulturelle Ghettos ein sehr geeignetes Ausdrucksmittel sein kann.
Abgesehen von alldem ist dies endlich mal wieder ein Lebenszeichen aus Irland, in dem auch was über Land und Leute zur Sprache kommt. Das ist mir besonders wichtig, weil mir dieses Land irgendwie noch immer besonders am Herzen liegt. » (29.1.)