Köln 75 von Ido Fluk. BRD/Polen/Belgien, 2025. Mala Emde, John Magaro, Michael Chernus, Alexander Scheer, Leo Meier, Shirin Lilly Eissa, Enno Trebs, Jördis Triebel, Ulrich Tukur, Susanne Wolff

   Eine Geschichte für die Legendensammlung: Eine Achtzehnjährige, die bereits seit zwei Jahren Konzerte für Jazzmusiker in der BRD organisiert, bucht ein Date für ein Solokonzert von Keith Jarrett in der Kölner Oper, spätabends nach der Aufführung der Lulu-Oper von Alban Berg. Sie ergattert einen Kredit von ihren Eltern, der allerdings an eine Bedingung geknüpft ist, und das bedeutet, dass von diesem Konzert ihre Zukunft abhängt. Alles scheint schiefzugehen: Der Konzertflügel, der abends auf der Bühne steht, ist der falsche und er ist obendrein verstimmt und defekt. In einem fieberhaften Kraftakt schafft es Vera Brandes tatsächlich, den kränkelnden Jarrett zum Auftreten zu überreden und gleichzeitig das Instrument halbwegs instand setzen zu lassen. Entgegen ihrer schlimmsten Befürchtungen ist der Abend ausverkauft, und also kann Vera ihren Eltern das Geld zurückzahlen und weiterhin ihrem Geschäft nachgehen. Und entgegen Jarretts Willen wird das Konzert mitgeschnitten und wird als Doppel-LP auf Manfred Eichers ECM-Label zum bestverkauften Jazz-Soloalbum aller Zeiten.

 

   Zunächst mal ist dies wahrscheinlich eine Ermächtigungs- und Emanzipationsgeschichte und als solche schon bemerkenswert genug, denn welche Sechzehnjährige bucht schon Konzerte für olle Jazzmusiker? Und tut dies nicht zuletzt, um sich zu lösen vom ungeliebten und ausgesprochen lieblosen Elternhaus? Abgesehen davon aber ist dies eine fulminante, extrem unterhaltsame und liebevolle Hommage an jene tollen Jahren in der ersten Hälfte der 70er, da die Musikszene in Europa wenigstens zu einem Teil noch von Respekt und wahrem Enthusiasmus geprägt wurde (anders als in den Staaten, wo die totalitären Geschäftemacher bereits das Ruder übernommen hatten). Vera gerät total zufällig in diese Szene, wird, so erzählt es jedenfalls der Film, von Ronnie Scott dazu überredet und macht ihre Sache so gut und mit soviel Begeisterung und wachsender Kompetenz, dass sie dabeibleibt, auch wenn sie von ihrem fiesen Vater mit Verachtung überschüttet und von ihrem Bruder zunächst gehasst wird (seine eigenen Worte). Doch ihre infektiöse Energie und ihre Überzeugungskraft tragen schließlich Früchte, und so wird ihr Bruder einer ihrer Helfer, und ihre Mutter schustert ihr doch noch den dringend benötigten Kredit zu, der es ihr ermöglicht, die Oper für den späten Abend zu buchen. Vor allem die Stunden vor dem Konzert sind rasant montiert und zeigen eine junge Frau, die ebenso verzweifelt wie entschlossen um ihre eigene Zukunft kämpft. Zwischendurch begleiten wir dann einen Journalisten, der sich an Jarretts Fersen heftet und mit Manfred Eicher und ihm im Auto von Lausanne nach Köln gurkt, immer in der Erwartung, das eine große Interview mit dem berühmten Jazzpianisten führen zu können. All dies wird mit viel Sinn für Zeitgeist erzählt, aber auch mit Witz und Ironie und einem tollen Soundtrack, und überhaupt kann man diesen Film auch dann genießen, wenn man gar kein Jazzfan ist, denn Jarretts Musik spielt hier nur eine Nebenrolle. Es geht allgemein eher um die Liebe zur Musik, um die totale Hingabe an die Sache, und beides wird von Vera Brandes natürlich auf besondere Weise verkörpert. Mala Emde ist klasse in der Hauptrolle, und obwohl sie eigentlich natürlich ein bisschen zu alt ist, bringt sie genau die richtige Mädchenhaftigkeit und Energie mit, um diese besondere Persönlichkeit glaubhaft und lebendig zu machen. Ich habe mich knapp zwei Stunden lang glänzend amüsiert und war auch hingerissen von dem Soundtrack, der neben Jarrett noch feine Sachen von Can oder Nina Simone enthält. Insgesamt eine einfach tolle Geschichte, und das Tollste daran ist, dass sie auch noch wahr ist. ˜˜˜˜˜ (26.3.)