Like a complete unknown von James Mangold. USA, 2024. Timothée Chalamet, Elle Fanning, Monica Barbaro, Edward Norton, Dan Fogler, Norbert Leo Butz, Boyd Holbrook, Scott McNairy
Der Filmtitel weist eigentlich schon darauf hin, was man von diesem Film nicht erwarten sollte, nämlich eine letztgültige, erschöpfende, in die Tiefe gehende Biographie Bob Dylans. Auch nach fast zweieinhalb Stunden bleibt Dylan, was er am liebsten ist und als was er seit sechseinhalb Jahrzehnten mit großem Erfolg posiert: Ein Rätsel, ein unentzifferbares Enigma, eine schwer zu greifende Lichtgestalt, vielfach verehrt und ebenso vielfach missverstanden. Er selbst hat all dem eifrig Vorschub geleistet, wie wir auch hier sehen, schon in den Anfängen seiner Karriere spinnt er Geschichten rund um seine Vergangenheit, folgt einerseits seinen Idolen wie Woody Guthrie und Pete Seeger, distanziert sich andererseits mit seiner typischen Arroganz vom Folkcircuit, entzieht sich jeder Einordnung und Festlegung und bricht schließlich mit seinem berühmten mutwillig laut-elektrischen In-die-Fresse-Auftritt in Newport anno 1965 endgültig mit seiner Rolle als Anführer der Protestbewegung seit den frühen Sechzigern, die ihm immer nur von außen angedichtet worden war, die er selbst für sich offenbar niemals abgenommen hat. Was ihn aber wirklich bewegt, antreibt, begeistert, offenbart er niemals, auch nicht den Frauen, mit denen er Beziehungen eingeht - Beziehungen, die er sämtlich nach klassischer Künstler-Macho-Tradition als Einbahnstraßen gestaltet, mit dem Resultat, dass ihm beide Frauen weglaufen, Joan Baez ebenso wie Sylvie Russo (im wahren Leben Suze Rotolo). Und so kann er am Ende als einsamer, unverstandener Prophet auf sein Motorrad steigen und von dannen brausen, und wie das mit dem Motorrad endete, wissen wir auch...
Als Musikfilm funktioniert das ganz gut – wir hören sehr viele Dylansongs aus seiner besten Phase, eine Art Greatest-Hits-Sammlung zum Mitsingen, sehr stark interpretiert von Chalamet, der sowieso eine bemerkenswerte Performance hinlegt. Die frühen 60er werden in stimmungsvollen Bildern eingefangen, der Aufbruch in die Bürgerrechtsbewegung, das ganz besondere Miteinander in Folkkreisen, einerseits unterstützend und solidarisch, andererseits aber auch engstirnig und übergriffig, so wie es hier in der Person Pete Seegers veranschaulicht werden soll. Dylan ist irgendwann das Wunderkind, das von Anfang an eifrig an der eigenen Legende bastelt, an dem von allen Seiten gezerrt wird, das sich mit Sonnenbrille, Kettenrauchen und spärlichem Gemurmel abschottet von den Aufdringlichkeiten seiner Umgebung und das sich allein in seinen zunehmend komplexen und schwer verständlichen Texten ausdrückt. Mir kommt diese Sichtweise ein wenig einseitig vor, kann aber durchaus sein, dass was dran ist, so tief hab ich mich nie mit dieser Szene beschäftigt. Die Darsteller um Chalamet herum spielen und singen ebenfalls ganz fabelhaft, und ich habe die lange Spieldauer diesmal durchaus nicht als störend empfunden. Was mir allerdings durchgehend gefehlt hat, ist irgendetwas Neues. Es wird kaum etwas erzählt, was ich nicht wenigstens im Groben schon wusste, und ich bin wirklich kein Dylan-Kenner und auch kein Fan. Dieser Film hakt bekannte Stationen ab und reproduziert die gängigen Dylan-Mythen, ohne etwas zu hinterfragen, zu vertiefen oder in einem neuen Licht zu präsentieren, und das ist mir für ein solch gewichtiges Projekt zu wenig. Die Ikone Bob Dylan wird brav bestätigt und effektvoll in Szene gesetzt, das mag für Fans oder Interessierte vielleicht okay sein, ich fand‘s alles in allem recht dünn, auch wenn mir die Musik durchaus gefallen hat. (12.3.)