Poison von Désirée Nosbusch. Luxemburg/Niederlande/England, 2024. Trine Dyrholm, Tim Roth
Edith und Lucas haben ihren Sohn durch einen Autounfall verloren, und ihre Ehe ist darüber zerbrochen. Lucas lebt in Holland, hat wieder geheiratet und wird bald wieder Vater. Edith lebt noch immer am Ort, kann sich nicht aus der Trauer befreien. Nach zehn Jahren treffen sich die beiden auf dem Friedhof wieder, weil das Grab möglicherweise verlegt werden muss. Zehn Jahre lang haben sie sich nicht gesehen, und nun erproben sie vorsichtig, ob es doch vielleicht eine Möglichkeit gibt, dass sie wieder ein wenig aufeinander zugehen können.
Die Verfilmung eines Theaterstücks, die sehr geschickt fürs Kino bearbeitet wurde und über knappe neunzig Minuten sehr dicht und intensiv wirkt. Nur zwei Personen, eine ganz kurze Zeitspanne und einige wenige Schauplätze rund um Friedhof und Kapelle, im Grunde auch nur eine einzige Situation. Ein Ehepaar, das sich verloren hat, das nicht zusammen trauern konnte. Er flieht, will neu anfangen, will weitermachen. Sie lebt tagtäglich mit der Erinnerung, kann sich nicht lösen, will nicht neu anfangen. Jede Menge bedeutende zwischenmenschliche Fragen werden mehr oder weniger explizit angesprochen: Welches ist die richtige Art zu trauern? Darf man den Partner beschuldigen, nicht richtig zu trauern? Ist es verwerflich, über den Tod seines Kindes hinwegkommen oder, noch schlimmer, wieder glücklich werden zu wollen? Worin liegt die Essenz einer Beziehung, einer Ehe? Gibt es etwas, das eine lange Trennung möglicherweise überdauert? All dies wirkt aber weder erdrückend noch geschwätzig, wie in vielen anderen Theaterverfilmungen, sondern fügt sich organisch ein in eine ruhige Erzählung, die den Fokus ganz auf die beiden Personen legt und sich keinerlei Abschweifung erlaubt. Das bedeutet natürlich auch, dass diese beiden Hauptrollen mit genügend Substanz ausgestattet sein müssen. Das ist, wie ich finde, hier der Fall. Das bedeutet aber auch, dass zwei Schauspieler am Werk sind, die diesen Dialogfilm tragen können. Und das ist, wie ich finde, auch der Fall. Trine Dyrholm und Tim Roth haben von Angang an die richtige Chemie, ich habe ihnen das Ex-Ehepaar sofort geglaubt, und vor allem haben sie die damals in ihrer Ehe angenommenen und verfestigten Rollen und Mechanismen sehr schön unaufdringlich herausgearbeitet – egal, wie lange das Paar getrennt sind, ein paar Dinge spielen sich sofort wieder ein, weil ihre Beziehung einfach so funktioniert hat.
Filme wie dieser, die sich wirklich ganz auf wenige Personen und Themen konzentrieren, gibt’s leider nicht mehr so häufig. Und obwohl ich gottseidank mit der Trauer um ein verstorbenes Kind noch nie direkt konfrontiert wurde, habe ich dennoch einen sehr leichten Zugang gefunden, weil sowohl übertriebenes Schwere als auch übertriebenes Pathos durchweg vermieden wurden. Ein beachtliches Regiedebüt von Désirée Nosbusch, die im Anschluss an die Vorführung davon berichtete, wie viele Jahre sie um das Projekt gerungen hat. Es hat sich gelohnt, denke ich. (4.2.)