September 5 – The day terror went live von Tim Fehlbaum. BRD, 2024. John Magaro, Ben Chaplin, Peter Sarsgaard, Leonie Benesch, Zinedine Soualem, Georgina Rich, Rony Herman, Benjamin Walker
900 Millionen Menschen sehen zu, als im September 1972 insgesamt 17 Menschen in München bei einem Überfall palästinensischer Terroristen auf die israelische Olympiamannschaft sterben. 11 Geiseln, 5 Terroristen, 1 deutscher Polizist. Die ersten Spiele live im Fernsehen, via Satellit all over the world. Das Team von ABC Sports ist direkt vor Ort, als die Schüsse fallen. Der Teamleiter sagt: Das ist unsere Story. Alle sind heiß auf den ultimativen Scoop. Am Ende müssen sie eine Falschmeldung korrigieren, nach der in Fürstenfeldbruck alle Geiseln gerettet werden konnten, wo doch in Wirklichkeit alle gestorben sind. Ihre Betroffenheit – hat sie nun mit dem Tod der israelischen Sportler zu tun oder doch eher mit ihrer Voreiligkeit und Blamage?
Das größte Verdienst dieses Films liegt darin, dass er all diese Themen und Fragen anspricht und noch einige mehr, ohne endgültig zu antworten, zu bewerten, zu katalogisieren. Vordergründig geht es um diesen einen Tag zwischen dem 5. und dem 6. September, der Geiselnahme, den vergeblichen Verhandlungen und schließlich der chaotischen Schießerei auf dem Flugplatz, die zum Tod aller Geiseln und einiger Terroristen führte. All dies wird aus Sicht des ABC-Teams geschildert, das natürlich genau wie alle anderen total von den Ereignissen überrascht und überrollt wird und versucht, mitzuhalten, Informationen und Bilder zu bekommen und sich zugleich als Live-Berichterstatter zu profilieren. Das Chaos auf dem Gelände des olympischen Dorfs ist enorm, Berichterstatter aus aller Herren Länder drängeln sich um die besten Plätze in der ersten Reihe, und auch die ABC wendet so einige Tricks an, um die Konkurrenz auszustechen. Irgendwann dämmert ihnen die Einsicht, dass die Terroristen natürlich auch Fernsehen schauen könne und die gesamte Berichterstattung ebenfalls mitverfolgen und bestens informiert sind. Die Polizei rückt folglich an und verlangt, dass die Kameras ausgeschaltet werden, was aber nicht lange befolgt wird, denn natürlich wollen sie weiter auf Sendung sein. Erst das Desaster von Fürstenfeldbruck bringt einige vom Team vielleicht dazu, die eigene Rolle in der ganzen Tragödie zu hinterfragen, während andere sich offensichtlich eher in Selbstmitleid suhlen. Es geht also um Ethik, Moral, Rolle und Aufgaben des Journalismus, doch wird nichts davon zu stark in den Vordergrund gerückt, sondern bildet einen dichten, sehr komplexen Subtext zusammen mit dem kollektiven Versagen der Deutschen, der Sensationsgeilheit der Weltöffentlichkeit und dem fieberhaften Ringen um die Prime Time und den freien Satellitenslot. Die Akteure werden als Menschen nicht sonderlich tief ausgelotet, was man vielleicht als Versäumnis verstehen könnte, was andererseits aber relativ konsequent ist im Rahmen des Gesamtkonzepts, denn hier geht es weniger um Psychologie als vielmehr darum, eine extreme Ausnahmesituation nachfühlbar, begreifbar zu machen, und das ist Fehlbaum exzellent gelungen. Er reduziert die Aktion auf ein paar wenige Innenräume. Es gibt kaum Außenszene, kaum Tageslicht, hauptsächlich enge, geschlossene Räume. Wir sehen ein Team aus Profis, die funktionieren, die reagieren, die improvisieren, die natürlich Zweifel und Fragen und Unsicherheiten haben, die aber letztlich zuallererst Journalisten sind, die zwar nicht unempfänglich sind für die dramatische Situation der israelischen Geiseln, der aber in erster Linie die Story ihres Lebens direkt vor der Nase haben und ihre Entscheidungen stets danach ausrichten. Diese Feststellung bleibt in dem Film am Ende deutlich als Fazit stehen, führt aber glücklicherweise nicht zu einem moralisierenden Urteil.
Alles in allem ist dies ein äußerst intensives, hochspannendes und mitreißendes Drama, das das ganze München-Desaster noch einmal aus einer anderen Perspektive beleuchtet als die Produktionen, die ich bislang zu dem Thema gesehen, habe, Und dies ist viel mehr als eine nette Ergänzung, die ist eine vielschichtige Reflexion vor historischem Hintergrund und mithilfe der die starken Darsteller und das sehr konzentrierte Drehbuch eine wirklich gelungene Mischung aus privater und geschichtlicher Ebene. » (15.1.)